Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Steuerbefreiung von Dienstleistungen einer Hygienefachkraft an Alten- bzw. Pflegeheim
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Steuerfreiheit infektionshygienischer Leistungen gem. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist ein unmittelbarer Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit in Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen erforderlich. Das Vorliegen einer Heilbehandlung kann ohne Nachweis im Einzelfall nicht ohne Weiteres unterstellt werden.
2. Der Ausschluss des Stpfl. von der Steuerbefreiung für eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen durch die in § 4 Nr. 16 UStG aufgestellten Voraussetzungen ist nicht mit der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL geregelten Steuerbefreiung vereinbar. Die Unvereinbarkeit führt zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienvorschrift, deren Voraussetzungen der Stpfl. erfüllt.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 14 Buchst. e, Nr. 16; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. g; UStG § 4 Nr. 14 Buchst. a
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit der Kläger als selbständige „Hygienefachkraft” an „Alten- bzw. Pflegeheime” im Jahr 2012 (Streitjahr) umsatzsteuerfreie Dienstleistungen erbracht hat.
Der Kläger ist Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene und seit 1995 als Hygienefachkraft selbständig tätig. Er führt –neben weiteren Leistungen für andere Kunden– u.a. für Krankenhäuser, Altenheime und Pflegezentren folgende Tätigkeiten aus:
- Erarbeitung von Hygienekonzepten;
- Erstellung von Hygieneplänen, Infektionsstatistiken und Mitwirkung bei der Einhaltung der Regeln der Krankenhaushygiene und Altenheimhygiene;
- Mitwirkung bei der Erkennung von Krankheit mit Infektionen;
- allgemeine und bereichsspezifische Beratung;
- Schulung, Beratung, Fortbildung und fachliche Anleitung von Pflegekräften, Ärzten und sonstigem Personal;
- mehrmalige Hausbegehungen im Jahr (Arbeitsablauf, Beobachtung, Mitarbeiterbefragung, Kontrolle der Mängelbeseitigung, Kontrolle von Geräten);
- Telefonische Auskünfte, Dokumentation/Berichtswesen (Mängelliste);
- Festlegung der Vorgehensweise bei einer Isolierung von Patienten.
In seiner USt-Erklärung für 2012 vom 30.12.2013 erklärte er steuerpflichtige Umsätze zu 19 % in Höhe von 100.337 € und unentgeltliche Wertabgaben in Höhe von 2.490 € sowie nach § 4 Nr. 14a bzw. 21a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie Umsätze in Höhe von 145.577 € und Vorsteuern in Höhe von 3.225,16 € (festzusetzende USt danach: 16.311,97 €). Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung war bereits ein „Musterverfahren” des Klägers zur Umsatzsteuerfreiheit seiner Tätigkeit als Hygienefachkraft für das Jahr 2008 nach stattgebendem Urteil des Senates vom 13.12.2011 (15 K 4458/08 U, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2013, 980 im Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof – BFH – unter dem Az. XI R 11/13 anhängig).
Der Beklagte erteilte zunächst die Zustimmung zur Erklärung (Mitteilung vom 29.1.2014); mit Bescheid vom 17.4.2014, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, unterwarf er bislang als steuerfrei behandelte (Brutto-)Umsätze des Klägers in Höhe von 145.712,14 € in Höhe des Nettobetrages von 122.447,18 € der Regelbesteuerung und setzte die Umsatzsteuer auf 39.576,90 € fest.
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Einspruchs machte der Kläger die Umsatzfreiheit hinsichtlich der Tätigkeit „Hygieneberatung” gem. § 4 Nr. 14 UStG geltend (Umsätze brutto: 143.008 €; netto: 120.175 €). Die weiteren steuerfrei erklärten Umsätze in Höhe von 2.704,30 € brutto resultierten aus seiner Dozenten- und Lehrtätigkeit und seien gem. § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb i.V.m. Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei. Auf die dem Einspruchsschreiben beigefügte Berechnung wird Bezug genommen.
Der Beklagte erließ daraufhin (nach Vorlage entsprechender Bescheinigungen) am 25.7.2014 einen Änderungsbescheid, in dem er die Umsätze aus Lehrtätigkeit als steuerfrei behandelte und entsprechend die Umsatzsteuer für 2012 auf 39.145,22 € herabsetzte.
Nachdem das „Musterverfahren” (betreffend Umsatzsteuer 2008) nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch den BFH (Urteil vom 5.11.2014 XI R 11/13, BFHE 248, 389, HFR 2015, 156) und Rückverweisung an den Senat sich Ende 2016 einvernehmlich erledigt hatte, reichte der Kläger im Einspruchsverfahren Auskunftsschreiben der Alten- und Pflegeeinrichtungen ein, die darin dem Kläger durch Ankreuzen in dem entsprechenden Feld bestätigten, dass für die jeweilige Einrichtung ein Vertrag nach § 75 SGB XI besteht bzw. sie einem Verband angehören, der einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat. Zugleich bestätigten sie durch entsprechendes Ankreuzen, soweit diese Daten von ihnen erhoben wurden, dass die Betreuungs- und Pflegekosten in der jeweiligen Einrichtung mindestens zu 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopfervorsorge zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegs-...