Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstausbildung bei Vollzeit-Erwerbstätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die Annahme einer Erstausbildung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Kind während des zweiten Ausbildungsabschnitts einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgeht.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 62 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
Nachgehend
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Sohn der Klägerin ab Februar 2015 zu Recht abgelehnt hat.
Der am 29.06.1994 geborene Sohn O. S. absolvierte von September 2011 bis zum 30.01.2015 eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Nach dem Ausbildungsabschluss beschäftigte ihn sein Arbeitgeber im Rahmen einer Vollzeittätigkeit (35 Stunden/Woche) – zunächst befristet – weiter. Bereits während der Ausbildung wurden mehrere Gespräche mit dem Arbeitgeber über Studienmöglichkeiten nach Abschluss der Ausbildung geführt. Eine interne Bewerbung für eine Stelle im Rahmen eines berufsbegleitenden Studiums reichte O. S. gegen Ende seiner Ausbildung bei seinem Arbeitgeber ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheinigung der H-GmbH vom 01.03.2019 verwiesen.
Am 08.06.2015 (Datum der Unterschrift der T-AG war der 28.05.2015) schloss O. S. mit der T-AG einen Studienvertrag zur Aufnahme eines Hochschulstudiums, der die Immatrikulation an der Fachhochschule (FH) zur Voraussetzung hatte. Die Studiengebühren betrugen 2.010 EUR pro Semester. Der Studierende hatte das Recht, die Regelstudienzeit zu überschreiten. In diesem Fall entstanden weitere Studiengebühren. Wegen der Einzelheiten wird auf den Studienvertrag vom 08.06.2015 ergänzend Bezug genommen. Seit dem 01.09.2015 ist O. S. an der FH immatrikuliert und absolviert ein berufsbegleitendes Studium International Management with Engineering (Abschlussziel Bachelor of Arts). Dieses Studium ist kein Präsenzstudium, sondern ein Studium neben dem Beruf oder der Berufsausbildung mit Veranstaltungen an Samstagen. Diese Veranstaltungen werden von externen Bildungsträgern angeboten und mit Lernbriefen der Fachhochschule begleitet. Das Verhältnis Selbststudium zu Präsenz beträgt ungefähr 1/3 zu 2/3. Der 01.09.2015 war der frühestmögliche Immatrikulationszeitpunkt für diesen Studiengang. Der Bewerbungszeitraum für den Studiengang erstreckt sich von Mitte Mai bis zum 15.07. eines Studienjahres. Zugangsvoraussetzung für dieses Studium ist das Abitur bzw. die Fachhochschulreife, welche O. S. mit Beendigung seiner Ausbildung erlangt hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Internetseite der FH Südwestfalen (Internetadresse: www4.fh-swf.de) verwiesen.
Am 22.12.2017 beantragte die Klägerin Kindergeld für O. S. bis zum 01.02.2019. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Kindergeldbescheid vom 23.01.2018 ab Februar 2015 ab. Zur Begründung führte sie aus, O. S. habe eine erste Berufsausbildung bzw. ein Erststudium abgeschlossen und befinde sich aktuell in einer weiteren Berufsausbildung. Da O. S. einer Erwerbstätigkeit nachgehe, könne er gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2, 3 EStG nicht mehr berücksichtigt werden.
Mit dem hiergegen am 14.02.2018 eingelegten Einspruch vertrat die Klägerin die Auffassung, O. S. habe sich fortlaufend in einer Berufsausbildung befunden, die erst mit dem Abschluss zum Bachelor of Arts beendet werde. Er habe von Anfang an das Berufsziel „Bachelor of Arts” gehabt. Bei den aufeinanderfolgenden Ausbildungen zum Industriemechaniker/Fachhochschulreife in Abendschule und Bachelor of International Management with Engineering handele es sich um eine mehraktige Ausbildungsmaßnahme, die Teil einer einheitlichen Erstausbildung seien. Sie seien zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses unmittelbar fortgesetzt werden solle und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden könne. Die Ausbildung zum Bachelor of Arts setze eine Berufsausbildung voraus. Diese Voraussetzung habe O. S. erfüllt. Ein Anspruch auf Kindergeld sei auch nicht wegen der Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vollzeittätigkeit im betroffenen Zeitraum ausgeschlossen. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung sei die Erwerbstätigkeit im Streitzeitraum nicht anspruchsausschließend. Maßgeblich sei, dass O. S. sein Studium ernsthaft und nachhaltig betrieben habe.
Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 10.04.2018 (wegen Kindergeld ab Februar 2015) als unbegründet zurück. Sie vertrat die Auffassung, dass regelmäßig mangels notwendigem engen Zusammenhang keine einheitliche Erstausbildung vorliege, wenn die weiterführende Ausbildung eine Berufstätigkeit voraussetze oder das Kind vor Beginn der weiterführenden Ausbildung eine Berufstätigkeit aufnehme, die – wie im Streitfall – nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung diene. O. S. habe eine erstmalige B...