Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichteinräumung eines Datenzugriffs, Ermessen, sachfremde Erwägung
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO gegenüber einem Rechtsanwalt wegen Nichteinräumung eines Datenzugriffs bzgl. der von ihm betreuten steuerlichen Mandate ist ermessensfehlerhaft, wenn sie mit einer potentiellen Wiederholungsgefahr begründet wird. Die angenommene potentielle Wiederholungsgefahr ist eine sachfremde Erwägung, die mit dem Zweck des Verzögerungsgeldes nicht vereinbar ist. Berücksichtigt werden dürfen insoweit allein Verzögerungen beim Steuerpflichtigen, nicht aber generalpräventive Aspekte.
2) Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO ist auch ermessensfehlerhaft, wenn das FA über den Aussetzungsantrag zur Datenüberlassung noch nicht entschieden hat, ohne Ermessenserwägungen anzustellen, warum auf die Datenanforderung vor dieser Entscheidung eine weitere belastende Maßnahme wie das Verzögerungsgeld gestützt werden kann.
Normenkette
AO § 146 Abs. 2b, § 5
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes, das vom Beklagten aufgrund der Nichteinräumung eines Datenzugriffs nach § 146 Abs. 2b der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 4.000 € festgesetzt ist.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und Notar und betreut auch steuerrechtliche Mandate. Er übt seine Tätigkeit in Kanzleiräumen einer GbR aus (in A-Stadt, A-Straße 1). Er wird beim Finanzamt W-Stadt (Wohnsitzfinanzamt) für Einkommensteuerzwecke gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie für Umsatzsteuerzwecke geführt.
Nach entsprechender Beauftragung durch das Wohnsitzfinanzamt ordnete der Beklagte mit zwei Prüfungsanordnungen vom 25.09.2013 die Durchführung einer Außenprüfung mit dem Prüfungsgegenstand Einkommensteuer bzw. Umsatzsteuer zunächst für die Jahre 2007 bis 2011 an. Diesen Prüfungsanordnungen waren allgemeine Hinweise zum Datenzugriffsrecht beigefügt.
In der Folge forderte der Außenprüfer mit Schreiben vom 21.11.2013 die Vorlage bestimmter Unterlagen bzw. bat um Erteilung bestimmter Auskünfte. Auch in diesem Schreiben traf der Außenprüfer zum Datenzugriff keine Anordnungen.
Nachdem der Kläger gegen die Prüfungsanordnungen Einspruch eingelegt und zunächst erfolglos einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Beklagten gestellt hatte, setzte der Beklagte im Laufe des daraufhin beim Finanzgericht (FG) anhängigen AdV-Verfahrens zunächst die Vollziehungen der Prüfungsanordnungen aus.
Diese AdV endete, nachdem der Beklagte den Einsprüchen mit Einspruchsentscheidung vom 31.07.2014 – unter Zurückweisung der Einsprüche im Übrigen – dahingehend abgeholfen hatte, dass er den Prüfungszeitraum auf die Jahre 2009 bis 2011 beschränkte.
Hinsichtlich der so abgeänderten Prüfungsanordnungen war seit dem 22.08.2014 beim FG Münster eine Klage unter dem Aktenzeichen 6 K x/14 AO anhängig.
Im Laufe dieses Klageverfahrens gewährte das FG Münster durch Beschluss vom 17.11.2014 (6 V y/14 AO) AdV der Prüfungsanordnung zur Umsatzsteuer für die Jahre 2009 bis 2011, weil bei summarischer Prüfung zweifelhaft sei, ob der Prüfungsauftrag des FA W-Stadt zur Umsatzsteuer hinreichend begründet gewesen sei.
Im Nachgang zum vorgenannten Beschluss erwartete der Kläger den Außenprüfer und dessen damaligen Sachgebietsleiter am 26.01.2015 in den Räumlichkeiten der GbR. Daher kündigte der Außenprüfer unter der Steuernummer zur Einkommensteuer an, er werde die Prüfung entsprechend fortsetzen.
Tatsächlich erschienen der Außenprüfer und dessen damaliger Sachgebietsleiter am 26.01.2015 in den Räumlichkeiten der GbR. Zu Prüfungshandlungen kam es jedenfalls an diesem Tag allerdings nicht. Hinsichtlich des Datenzugriffs übersandte der Außenprüfer mit Schreiben vom 09.12.2014 – wie schon als Anlage zu den Prüfungsanordnungen – erneut die allgemeinen Hinweise zum Datenzugriffsrecht an den Kläger. Dieses Schreiben sollte ausweislich der Ausführungen des Beklagten vom 21.01.2015 noch keine Regelungsanordnung beinhalten, weil die gleiche Aufforderung bereits mit der Prüfungsanordnung ergangen sei und der Außenprüfer an das Interesse derAußenprüfung habe erinnern wollen, prüfungsfähige Unterlagen frühzeitig ausgehändigt zu bekommen.
Zum beabsichtigten Datenzugriff führte der Außenprüfer sodann erstmalig wieder mit Schreiben vom 08.04.2015 aus, er beabsichtige, einen solchen durch Datenträgerüberlassung geltend zu machen, falls die Voraussetzungen hierfür dem Grunde nach vorliegen würden. Der Kläger antwortete auf das vorgenannte Schreiben hinsichtlich des beabsichtigten Datenzugriffs nicht. Daher erinnerte der Außenprüfer an die Erledigung mit Schreiben vom 30.07.2015.
Nachdem der Kläger die Auskünfte zum Datenzugriff noch immer nicht erteilt hatte, führte der Außenprüfer zum Datenzugriff sodann in seinem Schreiben vom 18.08.2015 aus, er erinnere an seine Aufforderung, u. a. „die angeforderten Daten” zur Gewinnermittlung des Klägers vorzulegen. Er (der Außenprüfer) erwarte den Eingang bis zum ...