Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass einer Kindergeldrückforderung im Weiterleitungsfall. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: III R 21/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann.
2. Einen Anspruch auf Erlass des konkret begehrten Verwaltungsakts hat der Steuerpflichtige nur, wenn einzig dieser ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null).
3. Das Bundeszentralamt für Steuern hat in Abschn. V 37 DA-KG näher dargelegt, unter welchen Voraussetzungen dem nichtberechtigten Elternteil die Kindergeldrückforderung erlassen werden kann. Diese Vorschrift stellt eine normkonkretisierende bzw. ermessensleitende Verwaltungsvorschrift dar, durch die die Voraussetzungen für einen Erlass aus Billigkeitsgründen näher bestimmt werden und dient dem Zweck, den unberechtigten Kindergeldempfänger, der das Kindergeld an den materiell-rechtlich richtigen Empfänger weitergeleitet hat, von der ungerecht erscheinenden Rückforderung zu befreien
4. Einer Mitwirkungspflichtverletzung des früheren Kindergeldberechtigten ist nur geringes Gewicht beizumessen, soweit das Kindergeld tatsächlich den Kindern zugutegekommen ist.
5. Die formelle Voraussetzung des Verzichts des tatsächlichen Kindergeldberechtigten erscheint insbesondere dann unverhältnismäßig, wenn der tatsächliche Kindergeldberechtigte nicht mehr erreichbar ist oder er die Abgabe der Weiterleitungs- und Verzichtserklärung treuwidrig verweigert, während zugleich die Auszahlungssperre des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG greift.
Normenkette
FGO § 102; EStG § 70 Abs. 1 S. 2; DA-KG Abschn. V 37; AO § 227 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Erlass der Kindergeldforderung für seine Kinder Kind 1 (geb. am 00.00.2011) und Kind 2 (geb. am 00.00.2002) für den Zeitraum von Mai 2016 bis Juli 2018 hat.
Der Kläger lebte ursprünglich mit seinen Kindern und der Kindesmutter, Frau A, zusammen. Mit Bescheid vom 21.12.2011 bewilligte die damals zuständige Familienkasse S gegenüber dem Kläger Kindergeld für beide Kinder.
Mit Bescheid vom 10.07.2018 hob die Beklagte die Kindergeldbewilligung für beide Kinder ab dem Monat August 2018 auf. Zur Begründung führte sie aus, dass das Kindergeld der Kindesmutter zustünde, nachdem diese die Kinder in ihren Haushalt aufgenommen habe. Mit einem weiteren Schreiben vom 10.07.2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er im Zeitraum von Mai 2016 bis Juli 2018 gegebenenfalls zu Unrecht Kindergeld bezogen habe, und gab diesem Gelegenheit zur Stellungnahme. Weiterhin wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Kindergeldrückforderung erlassen werden könne, soweit er das Kindergeld an die Kindesmutter weitergeleitet habe. Für diesen Fall möge der Kläger eine von der Kindesmutter unterschriebene Weiterleitungserklärung bei der Familienkasse einreichen. Mit Schreiben vom 25.09.2018 forderte die Beklagte den Kläger erneut zur Stellungnahme auf. Nachdem der Kläger auch hierauf nicht reagierte, hob die Beklagte die Kindergeldgewährung mit Bescheid vom 24.10.2018 für den Zeitraum von Mai 2016 bis Juli 2018 auf. Zugleich forderte sie den Kläger zur Rückzahlung des Kindesgeldes für diesen Zeitraum in Höhe von insgesamt 10.364,00 € auf. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.
Am 07.06.2019 reichte der Kläger ein von der Kindesmutter ausgefülltes und unterschriebenes Formular „Bestätigung über die Weiterleitung von Kindergeld” ein (Vordruck KG 14). Hierin bestätigte die Kindesmutter, dass der Kläger das Kindergeld für den Zeitraum „April 2017 bis heute” an sie weitergeleitet habe. Die Felder, in denen die Kindesmutter hätte erklären müssen, dass sie einen Kindergeldantrag bei der Familienkasse gestellt habe bzw. stellen werde, sind in dem Formular nicht ausgefüllt. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 11.06.2019 mit, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 24.10.2018 bestandskräftig geworden sei und es bei dieser Entscheidung verbleibe.
Am 24.07.2019 reichte der Kläger einen erneuten Antrag auf Kindergeld bei der Familienkasse ein. Er erklärte, dass er die Kinder im April 2019 wieder in seinen Haushalt aufgenommen habe. Daraufhin bat die Beklagte die Familienkasse S um Mitteilung, ob der Kindesmutter Kindergeld gewährt worden sei; diese teilte mit, dass der Kindergeldantrag der Kindesmutter am 03.01.2019 abgelehnt worden sei. Mit Bescheid vom 05.09.2019 gewährte die Familienkasse dem Kläger Kindergeld für beide Kinder für den Zeitraum ab Mai 2019.
Mit Schriftsatz vom 11.07.2019 hatte zwischenzeitlich der Klägerbevollmächtigte die Beklagte über seine Mandatierung informiert und Akteneinsicht beantragt. Nach Ablehnung des Akteneinsichtsantrags beantragte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 06.09.2019 hilfsweise die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 364 der Abgabenordnung (AO). Zur Erläuterung führte der Klägerbevollmächtigte aus, dass der Klä...