Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuersatz für Erwerber der Steuerklasse II
Leitsatz (redaktionell)
Der Steuersatz für Erwerber der Steuerklasse II von 30% in § 19 Abs. 1 ErbStG in der für das Jahr 2009 gültigen Fassung ist verfassungsgemäß.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; ErbStG 2009 § 19 Abs. 1
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 13.06.2017; Aktenzeichen II B 115/16) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die gesetzliche Regelung zur Höhe des Steuersatzes für Erwerber der Steuerklasse II von 30 % in § 19 Abs. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) in der für das Jahr 2009 gültigen Fassung verfassungsgemäß ist.
Der am 00.00.0000 verstorbene Erblasser hatte die Kläger – seine drei noch lebenden Geschwister zu je 1/4 und die fünf Kinder seines bereits verstorbenen Bruders zu je 1/20 – testamentarisch zu seinen Erben bestimmt und den Kläger zu 2 als Testamentsvollstrecker eingesetzt.
Nach Abgabe der Erbschaftsteuererklärung setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer dementsprechend durch Bescheide vom 13.09.2010 auf jeweils X Euro für die Geschwister (Kläger zu 1 bis 3), auf X Euro für den Kläger zu 4 und auf jeweils X Euro für die weiteren Kinder des verstorbenen Bruders (Kläger zu 5 bis 8) fest. Dabei wandte er gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG in der für das Sterbejahr gültigen Fassung einen Steuersatz von 30 % an.
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch rügten die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu den Steuersätzen für Erwerber der Steuerklasse II in § 19 Abs. 1 ErbStG wegen Verstoßes gegen Artikel 3 und 6 Grundgesetz (GG). Zum einen werde entgegen dem Differenzierungsgebot des Artikel 3 GG wesentlich Ungleiches gleich behandelt, indem für Geschwister des Erblassers und deren Abkömmlinge ersten Grades derselbe Steuersatz wie für entferntere Verwandte oder fremde Dritte gelte. Das entspreche weder den realen Lebensverhältnissen noch den in der Gesellschaft vorhandenen Wertungen. Denn gerade Erblasser ohne eigene Abkömmlinge hätten nach der Lebenserfahrung meistens ein engeres Verhältnis zu Geschwistern oder Nichten und Neffen als Erblasser mit Angehörigen, die zum Personenkreis der Steuerklasse I gehörten. Außerdem wollten auch Erblasser ohne eigene Angehörige regelmäßig Familienvermögen an die nächsten Generationen weitergeben. Darüber hinaus verstoße die Regelung in § 19 Abs. 1 ErbStG aber auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot, der Familie besonderen Schutz zu gewähren. Dabei lasse sich der nach verbreiteter Ansicht vertretene „enge Familienbegriff”, nach dem Artikel 6 GG nur die aus Eltern und (minderjährigen) Kindern bestehende „Kleinfamilie” schütze, weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte oder der Systematik des Grundgesetzes noch aus verfassungsrechtlichen Wertungen begründen.
Die Einspruchsverfahren ruhten zunächst wegen zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes anhängigen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Die angefochtenen Bescheide wurden dann mit dem Einverständnis der Kläger durch Änderungsbescheide vom 06.11.2012 gemäß § 165 Abgabenordnung (AO) wegen der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes in dem Verfahren beim Bundesfinanzhof II R 9/11 für vorläufig erklärt. Nach Ergehen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 17.12.2014 1 BvL 21/12 (BStBl. II 2015, 50) und des Bundesfinanzhofs am 20.01.2015 II R 9/11 (BFH/NV 2015, 693) erklärte der Beklagte die angefochtenen Bescheide für endgültig.
Den dagegen erhobenen Einspruch der Kläger, mit dem sie darauf hinwiesen, dass der Bundesfinanzhof seiner Entscheidung den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht mehr vertretenen „engen Familienbegriff” zugrunde gelegte habe, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 12.04.2016, zugestellt am 16.04.2016, als unbegründet zurück. Er sei an das am Stichtag im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, dem Todestag des Erblassers, gültige Recht gebunden.
Mit ihrer Klage vom 17.05.2016 (Dienstag nach Pfingstmontag) verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung eines niedrigeren Steuersatzes weiter. Unter Vertiefung ihres Vortrags aus dem Einspruchsverfahren halten sie an ihrer Auffassung fest, dass die Regelung in § 19 Abs. 1 ErbStG, die für Verwandte der Steuerklasse II einen Steuersatz von 30 % vorsehe, einen Verstoß gegen Artikel 6 GG darstelle und verfassungswidrig sei. Die Anhebung der Steuersätze für die Steuerklasse II auf das Niveau der Steuerklasse III greife in den Schutzbereich des Artikel 6 GG ein, indem eine dem Schutz familiärer Beziehungen dienende Regelung ersatzlos abgeschafft werde. Das sei von der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit nicht gedeckt. Zur Frage des Verstoßes der gesetzlichen Regelung gegen Artikel 6 GG habe das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 17.12.2014 aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht Stellung genommen. Auch das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 28.04.2016 3 K 3704/14 verhalte sich zu dieser Frage nicht. Im Übrigen könn...