Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service

 

Leitsatz (redaktionell)

Die sachliche Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service bei Ablehnung eines Stundungsantrags wird nicht dadurch geheilt, dass die sachlich und örtlich zuständige Familienkasse die Einspruchsentscheidung erlässt.

 

Normenkette

FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11; AO §§ 126-127, 130, 16

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Stundung einer Kindergeldrückforderung.

Nachdem die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse Nordrhein-Westfalen A der Klägerin zunächst Kindergeld für ihre Tochter V bewilligt hatte, hob sie durch Bescheid vom 11.02.2020 die Festsetzung des Kindergeldes für V ab August 2019 auf und forderte das insoweit überzahlte Kindergeld i.H.v. 816,00 € von der Klägerin zurück. Nachdem die Klägerin eine von Kindsvater unterschriebene Weiterleitungserklärung eingereicht hatte, teilte ihr die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse Nordrhein-Westfalen A durch Abrechnungsbescheid vom 23.04.2020 mit, dass durch sie, die Klägerin, noch ein Betrag i.H.v. 408,00 € zu erstatten sei. Die vorgenannten Bescheide wurden bestandskräftig. Die Vollstreckung des Rückforderungsbescheides übernahm die Beklagte.

Durch Schreiben vom 17.05.2021 stellte die Klägerin einen Antrag auf Stundung des Rückzahlungsbetrages, welchen die Beklagte durch Bescheid vom 26.05.2021 ablehnte. Den hiergegen gerichteten Einspruch der Klägerin wies die Familienkasse Nordrhein-Westfalen B durch Einspruchsentscheidung vom 30.07.2021 mit der Begründung als unbegründet zurück, dass die Voraussetzungen für eine Stundung nach § 222 der Abgabenordnung (AO) nicht vorlägen.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die – teilweise – Stundung der sich aus dem Abrechnungsbescheid vom 24.03.2020 ergebenden Kindergeldrückforderung. Zur Begründung führt sie aus, der die Stundung ablehnende Bescheid sei, rechtswidrig, da der Klägerin keine Verletzung von Mitwirkungspflichten angelastet werden könnten und sie sowohl stundungsbedürftig, als auch – würdig sei.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2021 und die Einspruchsentscheidung vom 30.07.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den sich aus dem Abrechnungsbescheid vom 23.04.2020 ergebenden Rückforderungsbetrag i.H.v. 408,00 € zu stunden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie vertritt die Auffassung, eine Stundungsbedürftigkeit der Klägerin liege nicht vor. Auch sei nicht zu ersehen, dass die Ablehnung der des Antrages der Klägerin ermessensfehlerhaft sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

II. Die Klage ist dahin auszulegen, dass sie sich gegen die Agentur für Arbeit S Inkasso-Service als Beklagte richtet.

Dass der Kläger in seiner Klageschrift die Familienkasse Nordrhein-Westfalen B als Beklagte bezeichnet hat, steht dem nicht entgegen, denn die Klageerhebung als Prozesshandlung ist im Zweifel gemäß §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auszulegen. Eine solche Auslegung hat im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) rechtsschutzgewährend zu erfolgen. Dabei ist davon auszugehen, dass ein Kläger eine zulässige Klage gegen die richtige Beklagte erheben wollte; dies ist hier die Agentur für Arbeit Inkasso-Service.

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist die Klage gegen diejenige Behörde zu richten, die – wie vorliegend die Beklagte – den beantragten Verwaltungsakt ursprünglich abgelehnt hat. Aus der Bezugnahme auf den „ursprünglichen” Verwaltungsakt folgt, dass nur die Ausgangsbehörde und nicht die Rechtsmittelbehörde Beklagte i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO sein soll (BFH-Urteil vom 25.02.2021 III R 36/19, BStBl. II 2021, S. 712, Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 63 FGO Rz. 20). Etwas anderes gilt nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO, sofern vor Erlass der Einspruchsentscheidung eine andere als die ursprünglich zuständige Behörde für den Steuerfall örtlich zuständig geworden ist; in diesem Fall ist die Klage gegen die Behörde, die die Einspruchsentscheidung erlassen hat, zu richten

Hiervon ausgehend ist die Klage gegen die Agentur für Arbeit S – Inkasso-Service – als Beklagte zu richten, da sie diejenige Behörde ist, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO). Ein Fall des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO liegt im Streitfall nicht vor, da ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit vor dem Erlass der Einspruchsentscheidung nicht erfolgt ist. Aber auch ein Wechsel der sachlichen Zu...

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