Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (redaktionell)
In den Fällen einer Vielzahl zeitgleich ergehender Verwaltungsakte ist von den Vertretern der steuerberatenden Berufe ein besonders sorgfältiges Handeln zu verlangen. Wird ein Verwaltungsakt gleichwohl nicht im Einspruchsschreiben genannt, so kann deshalb nicht von einem minderen Grad des Verschuldens ausgegangen werden.
Normenkette
AO § 110 Abs. 1 Sätze 2, 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, weil er ohne Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hat.
Im Jahr 2018 fand beim Kläger eine Betriebsprüfung für die Jahre 2013-2015 statt, wegen der Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 17.10.2018 verwiesen (Bl. 63 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Aufgrund der Feststellungen im Rahmen der Betriebsprüfung erließ der Beklagte am 15.11.2018 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2013-2015 (Bl. 54-62 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U), den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Beklagte gem. § 164 Abs. 3 AO auf. Mit den Umsatzsteuerbescheiden wurden Bescheide über Zinsen zur Umsatzsteuer verbunden. Am gleichen Tage ergingen geänderte Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen für 2013-2015 (Bl. 42-53 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Am 20.11.2018 erging zudem ein geänderter Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Verspätungszuschlag für das Jahr 2012 (Bl. 37-40 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Am 26.11.2018 erließ der Beklagte geänderte Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2013-2015 (Bl. 30-36 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U).
Am 10.12.2018 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der als Steuerberater zugelassen ist, Einspruch ein (Bl. 29 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Das Einspruchsschreiben lautete wie folgt:
„A. B., C-Strasse 1, xxxxx D-Stadt
Einspruch gegen Bescheide für 2013, 2014 und 2015 vom 15.11.2018 über ESt, KiSt und Zinsen
Einspruch gegen Bescheide für 2013, 2014 und 2015 vom 26.11.2018 über den Gewerbesteuermessbetrag
Einspruch gegen Bescheid für 2012 vom 20.11.2018 über ESt, SolZ, KiSt, Zinsen und Verspätungszuschlag
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit lege ich gegen die o.g. Bescheide Einspruch ein. Die Begründungen werden nachgereicht.
Mit freundlichen Grüßen”
Mit Schreiben vom 01.01.2019 begründete der Prozessbevollmächtigte die Einsprüche auch hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 (Bl. 25 ff. der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U).
Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 22.01.2019 die Vollziehung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags, der Kirchensteuer und der Zinsen für die Jahre 2012-2015 aus (Bl. 14 ff. der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 lehnte der Beklagte hingegen mit Schreiben vom 25.01.2019 (Bl. 11 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U) ab. Die Ablehnung begründete er damit, dass hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 nicht innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch eingelegt worden sei. Als Einspruch sei zwar das Schreiben vom 01.01.2019 zu werten, zu diesem Zeitpunkt sei aber die Einspruchsfrist bereits abgelaufen gewesen.
Mit Schreiben vom 04.02.2019 und vom 12.02.2019 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich legte er (erneut) Einspruch gegen die Umsatzsteuer- und Zinsfestsetzungen 2013-2015 ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide. Die Anforderungen an die Wiedereinsetzung dürften nicht überspannt werden. Solange die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet werde, sei ein Versäumnis entschuldbar. Da in einer Einzelkanzlei das Vier-Augen-Prinzip naturgemäß nicht angewendet werden könne, sehe er Schriftsätze und zugehörige Unterlagen am nächsten Tag nochmals durch. Trotz dieser Kontrolle habe er übersehen, dass die drei Buchstaben „USt” in der Betreffzeile des Einspruchs vom 12.12.2018 zu den Bescheiden vom 15.11.2018 nicht enthalten waren. Bereits aus der Einspruchsbegründung vom 01.01.2019 sei erkennbar, dass ihm das Fehlen der „USt” nicht bewusst gewesen sei.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Schreiben vom 05.02.2019 ab (Bl. 8 der Gerichtsakte in dem Verfahren 5 V 483/19 U). Das Vergessen oder Unterlassen einer Steuerart in einem zusammengefassten Einspruchsschreiben lasse auf mangelnde Sorgfalt schließen und beruhe daher auf Fahrlässigkeit.
Daraufhin beantragte der Kläger am 18.02.2019 beim Finanzgericht Münster Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2013-2015. Der Senat lehnte den Antrag mit Beschluss vom 25.03.2019 (Gerichtsakte 5 V 483/19 U, Bl. 99 ff.) ab.
Mit Einspruchsentscheidung vom 22.03.2019 (Bl. 28 ff. der Umsatzsteuerak...