Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hinzugeschätzte Umsätze können einen Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 AO bilden.

2. Eine irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts liegt vor, wenn die Finanzbehörde steuerrechtliche Folgerungen gezogen hat, die sich nachträglich als unzutreffend erweisen.

3. Wenn eine Betriebsprüferin in einem Prüfungsjahr angefallene Umsätze hinzuschätzt, wobei sie von 150.000 € ausgeht und sie diesen Betrag auf das betreffende Prüfungsjahr und die beiden folgenden Veranlagungszeiträume verteilt, ist diese zeitliche Zuordnung rechtsirrig.

4. Das Finanzamt darf den Steuerbescheid, in welchem es von dieser irrigen Zuordnung der Zuschätzungsbeträge ausgegangen ist, gem. § 174 Abs. 4 AO ändern, indem die Zuschätzungen nur in dem Jahr angesetzt werden, in welchem die betreffenden Umsätze erzielt worden sind.

 

Normenkette

AO § 174 Abs. 4, § 169 Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte den Umsatzsteuerbescheid 2008 zu Ungunsten der Klägerin nach § 174 Abgabenordnung (AO) ändern durfte.

Die Klägerin wurde in 2007 gegründet und betrieb in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einen Handel für Kraftfahrzeuge, Ersatzteile und Waren verschiedener Art. Gesellschafter zu je 50% und Geschäftsführer waren die Herren H U und H S. Für das Streitjahr 2008 gab die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärung am 15.01.2010 ab und erklärte darin eine Umsatzsteuer i. H. v. 22.541,43 €. Die Erklärung wurde vom Beklagten erklärungsgemäß verarbeitet. Die Klägerin stellte in 2011 ihren Betrieb ein. Sie befindet sich in Liquidation. Ihr Liquidator ist Herr H U .

Mit Beginn am 10.06.2013 führte der Beklagte für die Jahre 2008 bis 2010 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellte die Prüferin für das Streitjahr aufgrund einer Bargeldverkehrsrechnung erhebliche Bargeldfehlbeträge fest. Die fehlenden Bargeldbeträge beträfen die Lebensführung der Gesellschafter der Klägerin i.H.v. 12.000 € bzw. 9.200 €, Bareinzahlungen i.H.v. 225.700 € auf das betriebliche Konto der Klägerin sowie i.H.v. 22.200 € auf das Girokonto des Gesellschafter-Geschäftsführers H U. Ferner hätten die beiden Gesellschafter der Klägerin im Streitjahr einen Bargeldbetrag i.H.v. insgesamt 70.000 € für die Erbringung von Stammeinlagen für die von ihnen gegründete H & H GmbH sowie für dieser Gesellschaft gewährte Darlehensbeträge aufgewendet. Diese Feststellungen würden eine Hinzuschätzung rechtfertigen. Sie, die Prüferin, habe sich mit der Klägerin auf einen Hinzuschätzungsbetrag i.H.v. 150.000 € (brutto) verständigt. Dieser Betrag sei gleichmäßig zu je 50.000 € auf die Jahre 2008, 2009 und 2010 zu verteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Betriebsprüfungsberichts vom 08.12.2014 (Bl. 9 ff. der Prüfungsakte) Bezug genommen.

Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide. Die Umsatzsteuer 2008 und 2010 setzte der Beklagte jeweils mit Bescheid vom 20.01.2015 auf 26.636,88 € und 64.221,98 € fest. Die Umsatzsteuer 2009 setzte er mit Bescheid vom 28.01.2015 auf 10.991,92 € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit den Änderungsbescheiden jeweils aufgehoben.

Die Klägerin legte gegen die Änderungsbescheide am 12.02.2015 Einspruch ein (Bl. 18 der Rechtsbehelfsakte, Band I). Den Einspruch gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 nahm sie jedoch am 23.10.2015 wieder zurück (Bl. 6 der Rechtsbehelfsakte, Band I). Hinsichtlich der Änderungsbescheide für 2009 und 2010 trug sie zur Begründung vor (vgl. Schreiben vom 16.12.2015, Bl. 46 der Rechtsbehelfsakte, Band I), dass die Hinzuschätzungen von je 50.000 € (brutto) zu Unrecht erfolgt seien. Für das Streitjahr 2008 festgestellte Bargeldfehlbeträge könnten keine Hinzuschätzungen in den Folgejahren rechtfertigen. Der Beklagte stimmte der Einschätzung zu, wies jedoch darauf hin, dass eine antragsgemäße Minderung der Umsatzsteuern 2009 und 2010 im Einspruchsverfahren eine korrespondierende Erhöhung der Umsatzsteuer 2008 nach § 174 AO zur Folge hätte (Schreiben vom 14.03.2016, Bl. 62 f. der Rechtsbehelfsakte, Band I). Die Klägerin hielt gleichwohl an ihrem Einspruchsbegehren fest und der Beklagte erließ jeweils mit Datum vom 08.09.2016 antragsgemäß geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2009 und 2010. Mit gleichem Datum erließ er gestützt auf § 174 AO einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008, in dem er die Bemessungsrundlage hinsichtlich des bisher berücksichtigten Hinzuschätzungsbetrages von 50.000 € um weitere 100.000 € erhöhte und die Umsatzsteuer 2008 auf 30.468,80 € festsetzte.

Die Klägerin legte u.a. gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass die Änderung nicht auf § 174 AO gestützt werden könne. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt und zudem sei zum Zeitpunkt der Änderung bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen. Der Beklagte wies mit seiner E...

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