Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Heilung der sachlichen Unzuständigkeit des sog. Inkasso-Service für einen Stundungsantrag durch Einspruchsentscheidung der sachlich und örtlich zuständigen Familienkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Übertragung der Sachaufgabe „Inkasso” betrifft nicht die örtliche Zuständigkeit und ist nicht von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG gedeckt. Für einen Stundungsantrag bleibt daher statt der Agentur für Arbeit Inkassoservice die örtliche Familienkasse sachlich zuständig (Anschluss an BFH vom 25.2.2021, III R 36/19 und III R 28/20 sowie BFH vom 7.7.2021, III R 21/18).
2. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit der Agentur für Arbeit Inkassoservice für die Entscheidung über einen Stundungsantrag wird auch nicht dadurch geheilt, dass die eigentlich sachlich und örtlich zuständige Familienkasse die Einspruchsentscheidung erlässt.
3. Infolge der sachlichen Unzuständigkeit für die Entscheidung über den Stundungsantrag kann nur die Ablehnungsentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufgehoben werden. Die sachlich unzuständige Behörde als alleinige Beklagte kann aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht verpflichtet werden, die Stundung zu gewähren.
Normenkette
AO § 126 Abs. 2, §§ 127, 367; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 S. 4; AO § 222
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Stundung einer Erstattungsforderung.
Der Kläger bezog für seinen Sohn T laufend Kindergeld. Mit Bescheid vom 21.03.2018 hob die Familienkasse NRW die Kindergeldfestsetzung rückwirkend für den Zeitraum von Mai 2017 bis einschließlich Februar 2018 auf und forderte das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld i.H.v. insgesamt 1.936 EUR zurück. Zur Begründung führte die Familienkasse NRW aus, dass keine Nachweise über eigene Bemühungen von T um einen Ausbildungsplatz vorgelegt worden seien. Der Kläger legte gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid Einspruch ein. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens half die Familienkasse NRW dem Einspruch bzgl. der Monate Oktober und November 2018 mit Änderungsbescheid vom 18.06.2018 ab, wodurch sich die Erstattungsforderung auf 1.552 EUR minderte, und wies den Einspruch im Übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 19.06.2018 als unbegründet zurück.
Der Kläger beantragte im Mai 2018 bei der Beklagten eine Ratenzahlung des zu erstattenden Betrages. Die Ehefrau des Klägers nahm in der Folge die Zahlung von Raten in Höhe von monatlich 20,00 EUR auf die Erstattungsforderung auf.
Mit Mahnung vom 19.09.2019 forderte die Beklagte den Kläger zur Zahlung von 1.548,50 EUR (Restbetrag Forderung i.H.v. 1.529 EUR und Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 22.04.2018 bis 29.04.2018 i.H.v. 19,50 EUR) auf.
Mit Schreiben vom 23.09.2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Stundung und Ratenzahlung.
Mit Bescheid vom 08.01.2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Stundung der sich mittlerweile auf 1.497,50 EUR (Restbetrag Forderung i.H.v. 1.449 EUR und Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 22.04.2018 bis 11.11.2019 i.H.v. 48,50 EUR) belaufenden Forderung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass Ratenzahlungsvereinbarungen im Bereich des Steuerrechts außerhalb einer Stundung unzulässig seien, weshalb der Bescheid im Rahmen der Stundungsablehnung ergehe. Nach § 222 der Abgabenordnung (AO) dürfe die Bundesagentur für Arbeit Forderungen nur stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Schuldner verbunden wäre und die Forderung durch die Stundung nicht gefährdet werde. Die Einziehung sei für den Schuldner erst dann mit einer erheblichen Härte verbunden, wenn er sich auf die Erfüllung des Anspruchs nicht rechtzeitig habe vorbereiten können oder sich augenblicklich in ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befinde. Als Ursache für die erhebliche Härte kämen insbesondere persönliche Gründe in Betracht. Voraussetzung für eine Stundung aus persönlichen Gründen seien die Stundungsbedürftigkeit und die Stundungswürdigkeit des Schuldners. Stundungswürdig sei der Schuldner, wenn er seine wirtschaftliche Situation nicht selbst herbeigeführt und nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen habe. Stundungswürdigkeit sei insbesondere dann zu verneinen, wenn der Schuldner die Rückforderung selber verschuldet habe. Laut Mitteilung der Familienkasse NRW sei die Forderung aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers entstanden. Stundungswürdigkeit liege somit nicht vor; daher brauche auf die Stundungsbedürftigkeit als weitere Voraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme nicht weiter eingegangen zu werden.
Am 14.01.2020 legte der Kläger Einspruch gegen die Ablehnung der Stundung ein und machte geltend, dass er nicht in der Lage sei, die Forderung sofort zu begleichen. Er sei seit dem 31.01.2020 arbeitslos. Es seien laufend 20,00 EUR monatlich überwiesen worden und bislang habe es diesbezüglich keine Probleme gegeben. Er habe auch nicht gewusst, dass er Unterlagen hätte einreichen müssen.
Mit Einspruchsentscheid...