Entscheidungsstichwort (Thema)
Kosten der künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (redaktionell)
1) Kosten der künstlichen Befruchtung einer Frau mit krankheitsbedingter Fertilitätsstörung führen auch dann zu außergewöhnlichen Belastung, wenn die Frau keine Angaben zu ihrem Beziehungsstatus mach.
2) Die (Mit)Ursächlichkeit des Alters einer 40-jährigen Frau für die Fertilität steht dem nicht entgegen.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kosten für eine künstliche Befruchtung bei einer unverheirateten Frau, die zu ihrem Beziehungsstatus keine Angaben macht, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.
Die Klägerin erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie ist nicht verheiratet und macht zu ihrem Beziehungsstatus keine Angaben. Bei der Klägerin wurde eine krankheitsbedingte Fertilitätsstörung ärztlich festgestellt. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2017 machte die Klägerin, die im Streitjahr das 40. Lebensjahr vollendete, die Kosten für eine Kinderwunschbehandlung in Höhe von 12.246 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend. In den Kosten enthalten war die Rechnung der Spermabank für die verwendete Samenspende. Eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung erfolgte nicht. Darüber hinaus machte sie noch sonstige Krankheitskosten in Höhe von 240 EUR geltend. Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2017 lehnte der Beklagte die Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen ab. Für den Betrag von 240 EUR bejahte der Beklagte die Abzugsfähigkeit, setzte ihn jedoch mangels steuerlicher Auswirkung nicht an. Gegen diesen Einkommensteuerbescheid legte die Klägerin Einspruch ein.
Im Einspruchsverfahren forderte der Beklagte die Klägerin auf, durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass die Sterilität krankheitsbedingt ist und wies darauf hin, dass eine Berücksichtigung der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung nur in Betracht komme, wenn die Klägerin in einer gefestigten Partnerschaft lebe.
Als Nachweis für die Erkrankung legte die Klägerin ein ärztliches Attest des L in C vom 15.10.2018 vor, in der die behandelnde Ärztin, Frau Dr. med. T N, bescheinigt, dass bei der Klägerin „eine stark eingeschränkte Fertilität” vorliegt, die die „Wahrscheinlichkeit, dass eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege entsteht, drastisch senkt”. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Finanzamtsakten befindliche ärztliche Bescheinigung vom 15.10.2018 Bezug genommen.
Das Vorliegen einer krankheitsbedingten Infertilität ist unter den Beteiligten ebenso wie die geltend gemachten Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach unstreitig.
Eine Auskunft zu ihrem Beziehungsstatus lehnte die Klägerin mit der Begründung ab, dies stelle einen weiteren Eingriff in ihre Privatsphäre dar.
Nachdem der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2017 am 20.06.2018 aus nicht den Streit betreffenden Gründen geändert hatte, wies er den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 09.11.2018 als unbegründet zurück.
Mit ihrer am 08.12.2018 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiter, die Kosten für die Kinderwunschbehandlung als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Zur Begründung führt sie aus, bei ihr liege eine krankheitsbedingte Empfängnisunfähigkeit vor. Diese Erkrankung sei nur durch eine reproduktionsmedizinische Behandlung zu heilen bzw. zu überwinden. Die Behandlung sei nach intensiver und umfassender Beratung nach den geltenden ärztlichen Richtlinien vorgenommen worden.
Die Klägerin macht geltend, der Familienstand, in dem sie zum Zeitpunkt der Behandlung gelebt habe, sei für die Frage, ob eine außergewöhnliche Belastung zu bejahen sei, unbeachtlich. Es komme allein darauf an, dass eine Erkrankung vorliege, die durch die vorgenommenen Behandlungen gelindert werden könne bzw. solle. Die Zwangslage ergebe sich allein aus dem Vorliegen der Erkrankung. Die Zwangslage werde nicht durch die Beziehung zu einem Partner definiert. Darüber hinaus könne auch der Argumentation des Beklagten, dass es nicht Aufgabe des Steuerrechts sein könne, durch die Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung die Herbeiführung eines Alleinerziehungsverhältnisses zu fördern, nicht gefolgt werden. Denn das Kindeswohl sei nicht allein dadurch sichergestellt, dass das Kind in einer Partnerschaft groß gezogen werde. Schließlich sei die Lebenswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland durch einen hohen Anteil von alleinerziehenden Elternteilen geprägt. Abgesehen davon könne sich eine Familiensituation auch nach der Geburt jederzeit ändern. Alleinerziehende seien ein fester Bestandteil der heutigen Gesellschaft. Auf die Zufälligkeiten menschlicher Beziehungen könne es für die Anwendbarkeit des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht ankommen. Abschließend weist die Klägerin darauf hin, dass die aktuelle Richtlinie der Bundesärztekammer zur Entnahme und Übertragung von menschlichen Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion vom 06.10.2017 keine Einschränkung dahingehend erkennen lasse, ...