Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines Kindergeldbescheids
Leitsatz (redaktionell)
1) § 70 Abs. 4 EStG ermöglicht als Änderungsvorschrift eine Durchbrechung der Bestandskraft.
2) "Nachträgliche Tatsachen" i.S.d. § 70 Abs. 4 EStG sind solche, die im Zeitpunkt des Abschlusses der Willensbildung des für die Kindergeldfestsetzung zuständigen Beamten noch nicht bekannt waren.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4, § 70 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid wegen Kindergeld nachträglich geändert werden kann.
Der Kläger (Kl.) beantragte am 28.12.2002 Kindergeld für seine am 28.06.1982 geborene Tochter E. (E.) für den Zeitraum Januar bis September 2003. E. sollte zum 30.09.2003 ihre Ausbildung zur Krankenschwester abschließen.
Mit Ablehnungsbescheid vom 27.03.2003 lehnte die Bekl. die Gewährung von Kindergeld ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass der anteilige Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) i.H.v. 5.391 EUR (9/12 von 7.188 EUR) überschritten sei. Den Einkünften von E. i.H.v. 7.875,86 EUR stünden lediglich Werbungskosten i.H.v. 931,03 EUR gegenüber. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Ablehnungsbescheid Bezug genommen.
Am 03.04.2003 legte der Kl. gegen einen zeitgleich ergangenen Ablehnungsbescheid wegen Gewährung von Kindergeld für E. für den Zeitraum Januar bis Dezember 2002 Einspruch ein. In diesem Einspruchsschreiben teilte er mit, er ziehe seinen Antrag auf Kindergeld für das Jahr 2003 zurück und werde ggf. nach Ablauf des Jahres einen erneuten Antrag stellen.
Am 27.07.2005 beantragte der Kl. für seine Tochter E. erneut Kindergeld für Januar bis September 2003 unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Verfahren Az. 2 BvR 167/02. Er machte dabei sinngemäß geltend, bei Berücksichtigung der Arbeitsnehmerbeträge zur Sozialversicherung sei die kindergeldschädliche Einkommensgrenze nach § 32 Abs. 4 EStG nicht überschritten.
Diesen Antrag lehnte die Bekl. mit Bescheid vom 18.10.2005 ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, der Ablehnungsbescheid vom 27.03.2003 sei bestandskräftig. Eine Änderung dieses Bescheides könne nicht erfolgen, da keine der Änderungsvorschriften der §§ 172 bis 177 Abgabenordnung (AO) bzw. der § 70 Abs. 2 – 4 EStG einschlägig sei. Auf den Bescheid wird verwiesen.
Den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch des Kl. vom 02.11.2005 wies die Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom 14.11.2005 als unbegründet zurück.
Mit der am 25.11.2005 erhobenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Ablehnungsbescheid vom 18.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2005 aufzuheben und Kindergeld für die Monate Januar bis September 2003 in der gesetzlichen festgeschriebenen Höhe zu gewähren.
Die Beklagte (Bekl.) beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise, im Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
Der Ablehnungsbescheid vom 18.10.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2005 sind rechtswidrig und verletzen den Kl. in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 S. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Bekl. ist bei ihrer ablehnenden Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung des Bescheides vom 27.03.2003 bezüglich der Monate Januar bis September 2003 nicht mehr möglich ist.
Für ein Kind, das – wie im Streitfall die Tochter des Kl. – das 18., aber das noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag Kindergeld gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen (§§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 S. 2, 67 Abs. 2, 72 Abs. 7 EStG). Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 33 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG). Im Streitfall lagen die Kindergeldvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG im Zeitraum von Januar bis September 2003 vor. Die Tochter des Kl. befand sich in diesem Zeitraum in einer Ausbildung zur Krankenschwester.
Gemäß § 32 Abs. 4 S. 2 EStG setzt der Kindergeldanspruch zusätzlich voraus, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR im Jahr 2003 nicht überschreiten. Dieser Betrag ist im Streitfall wegen des Ausbildungsendes zum 30.09.2003 nach § 32 Abs. 4 S. 4 EStG um 3/12 zu kürzen und beträgt danach 5.391 EUR.
Diese Einkommensgrenze ist im vorliegenden Fall nicht überschritten. Die im Rahmen des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünfte der Tochter des Kl. berechnen sich wie folgt:
Bruttogehalt lt. Lohnsteuerkarte |
8.391,06 EUR |
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AfA Personalcomputer |
261,43 EUR |
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Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte |
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109 × 10 × 0,36 EUR |
= 392,40 EUR |
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109 × 4 × 0,40 EUR |
= 174,40 EUR |
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566,80 EUR |
566,80 EUR |
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Fahrten Berufsschule |
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90 × 50 × 0,30 EUR |
= 1.350,00 EUR |
1.350,00 EUR |
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Verpflegungsmehraufwendungen |
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90 × 6,00 EUR |
= 540,00 EUR |
540,00 EUR |
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Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag |
1.619,... |