Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der Berechtigung zu Umsatzhinzuschätzungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz (§ 22 UStG) wirkt, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze.
2. Bei der Nutzung programmierbarer elektronischer Kassensysteme stellt das Fehlen der Programmierprotokolle einen gewichtigen formellen Kassenführungsmangel dar, der jedenfalls bei bargeldintensiven Betrieben zu Hinzuschätzungen berechtigt.
3. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind diese Grundsätze auf PC-Kassensysteme gleichermaßen anzuwenden wie auf elektronische Registrierkassen, da PC-Systeme mindestens ebenso manipulationsanfällig sind wie elektronische Registrierkassen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3; UStG § 22
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen aufgrund von Kassenführungsmängeln.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren zwei Friseursalons in K-Stadt „A-Salon” und „B-Salon”). Seinen Gewinn ermittelte er in den Streitjahren 2007 und 2008 durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und stellte ab dem Streitjahr 2009 auf eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich um.
Seine Bareinnahmen erfasste der Kläger über die PC-gestützte Kassensoftware „S-Software”, die auch über andere Funktionen wie Kundenkartei oder Terminverwaltung verfügt. Auf Grundlage dieses Programms wurden arbeitstäglich für jeden der beiden Salons Kassenberichte erstellt, in denen die Bareinnahmen getrennt nach Verkauf, Herrensalon und Damensalon sowie die Ausgaben erfasst wurden. Eine fortlaufende Nummerierung enthalten die Kassenberichte nicht. Trinkgelder wurden nicht in der Kasse erfasst, sondern sowohl für den Kläger als auch für jeden seiner Arbeitnehmer in jeweils eigene Sparschweine eingeworfen, für die keine Aufzeichnungen geführt wurden. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in das Sparschwein des Klägers nicht erfasste Trinkgelder in Höhe von 3.600 € jährlich gelangt sind.
Der Kläger wurde in den Streitjahren zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. In den Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen sind folgende Nettoumsätze bzw. Gewinne angegeben:
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2007 |
2008 |
2009 |
Nettoumsatz |
343.089 € |
347.406 € |
331.801 € |
Gewinn |
60.458 € |
25.152 € |
76.989 € |
Im Gewinn für das Streitjahr 2009 ist unstreitig ein Übergangsgewinn wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart in Höhe von 1.239,16 € enthalten.
Für die Streitjahre 2007 und 2008 führten die Umsatzsteuererklärungen zu Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bzw. erließ der Beklagte im Hinblick auf die gewerblichen Einkünfte des Klägers erklärungsgemäße Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide, die ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Für das Streitjahr 2009 stellte der Beklagte aufgrund der laufenden Betriebsprüfung die Veranlagung zurück bzw. stimmte der Umsatzsteuerjahreserklärung, die zu einer Erstattung führte, nicht zu.
Im Rahmen der für die Streitjahre durchgeführten Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zunächst zu der Auffassung, dass die Kassenführung des Klägers nicht ordnungsgemäß sei. Dies folge daraus, dass die Kassenberichte nicht nummeriert seien, nicht ermittelbar sei, wann diese Berichte aus dem System erzeugt wurden, Gutscheine nicht vollständig aufbewahrt worden seien, Rechnungsnummern fehlten, Löschungen ohne erkennbaren Grund vorgenommen worden seien, Eintragungen in der Kundenkartei einerseits und der Kasse andererseits nicht übereinstimmten und Protokolle über die Einrichtung und die Programmierung des Kassensystems nicht vorlägen. Ferner sei die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben, weil die Trinkgelder in der Kasse nicht erfasst wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 18.5.2011 sowie die auf die in der Prüferhandakte befindliche Bedienungsanleitung (S-Software Handbuch 1996-2003) Bezug genommen.
Darüber hinaus führte der Prüfer sog. Bargeldverkehrsrechnungen für die drei Streitjahre durch, bei denen er monatlich die Barentnahmen aus der Kasse und den betrieblichen Konten sowie die Abhebungen des privaten Kontos den Bareinlagen gegenüberstellte und bei einem monatlichen Mittelbedarf für die Familie des Klägers in Höhe von 1.456,50 € Unterdeckungen in Höhe von 7.981,91 € für 2007, 13.928,06 € für 2008 und 13.216,32 € für 2009 ermittelte. Anfangs- und Endbestände enthalten die Rechnungen nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bargeldverkehrsrechnungen (am Ende der Betriebsprüfungsakte Veranlagungsstelle) Bezug genommen.
Schließlich nahm der Prüfer für das Streitjahr 2007 eine Erlösverprobung vor. Dabei kalkulierte er die Chemieumsätze (Dauerwelle, Färbung, Tönung und Blondierung) anhand der eingekauften Waren. Für die Ermittlung der verbrauchten Warenme...