Entscheidungsstichwort (Thema)
Abziehbarkeit von Zivilprozesskosten außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (redaktionell)
Prozesskosten für einen Rechtsstreit gegen einen Architekten auf Schadensersatz aus Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Baumaßnahmen (immense Überschreiten der Bausumme) sind nach der bis zum 30.06.2013 geltenden Rechtslage als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Normenkette
EStG a.F. § 33
Tatbestand
Streitig ist, ob Zivilprozesskosten außergewöhnliche Belastungen gem. § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung darstellen.
Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Als Folge einer von ihnen durchgeführten Baumaßnahme führen die Kläger seit dem Jahr 2003 einen Rechtsstreit gegen ihren Architekten, dem sie die immense Überschreitung der Bausumme von ursprünglich veranschlagten 400.000 DM bzw. 645.000 DM auf dann tatsächlich angefallene 1.055.910 DM anlasten. In einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht N-Stadt erstritten sie am 03.09.2009 ein stattgebendes Urteil über Schadensersatzansprüche i. H. v. etwa 230.000 EUR. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden Sachverständigengutachten des Sachverständigen S1 sowie des Sachverständigen S2 eingeholt. Die Kostenquote betrug 67% zu 33% zulasten der Kläger. In der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht I-Stadt stimmten die Kläger einem Vergleichsvorschlag des Gerichts zu, nach dem den Klägern ein Schadensersatzanspruch i.H.v. 250.000 EUR zustand. Im Streitjahr 2010 beglichen die Kläger in Rechnung gestellte Prozesskosten (Rechtsanwaltskosten, Gerichtskosten, Sachverständigenkosten etc.) i. H. v. 18.679,00 EUR.
Für die medizinische Versorgung der schwerbehinderten Klägerin trugen die Kläger Eigenanteile i.H. v. 1.040,26 EUR.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger die Kosten für den Bauprozess und die Leistungen für die medizinische Versorgung als außergewöhnliche Belastungen gem. § 33 EStG i. H. v. insgesamt 19.719,26 EUR geltend. Der Beklagte lehnte die Berücksichtigung der Kosten für die Führung des Bauprozesses als außergewöhnliche Belastungen ab. Die Kosten für die medizinische Versorgung der Klägerin lagen unter der zumutbaren Eigenbelastung gem. § 33 Abs. 3 EStG und wirkten sich daher nicht steuermindernd aus. Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 30.12.2011 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13.07.2012 als unbegründet zurückwies.
Mit ihrer am 13.08.2012 erhobenen Klage begehren die Kläger die Anerkennung der von ihnen im Streitjahr getragenen Prozess- und Rechtsanwaltskosten sowie die Berücksichtigung der entstandenen Krankheitskosten der Klägerin. Sie vertreten die Auffassung, dass ihnen durch den Bauprozess zwangsläufig Kosten entstanden seien, die außergewöhnlich belastend seien. Sie berufen sich auf die Rechtsprechung des BFH in seinem Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015, wonach Zivilprozesskosten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Kosten notwendig sind bzw. einen angemessenen Betrag nicht überschreiten. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung würden durch den Erfolg in erster Instanz vor dem Landgericht N-Stadt (Urteil vom 03.09.2009 Az. 02 O xxx/03) dokumentiert. Die entstanden Kosten seien auch unvermeidbar und notwendig gewesen, da sich die in Rechnung gestellten Beträge aus den gesetzlichen Regelwerken des GKG und RVG zwangsläufig ergäben. Die Kläger vertreten weiter die Auffassung, dass selbst nach den im Nichtanwendungserlass des BMF vom 20.12.2011 aufgestellten Grundsätzen außergewöhnliche Belastungen vorlägen: Mit Blick auf die hohen streitigen Beträge in dem geführten Bauprozess sei von einer grundsätzlichen Existenzgefährdung eines sog. „normalen” privaten Bauherren auszugehen. Ein Verzicht auf die Durchsetzung der Schadensersatzansprüche würde ihre wirtschaftliche Existenz gefährden.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 30.12.2011 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13.07.2012 dahingehend abzuändern, dass außergewöhnliche Belastungen i. H. v. insgesamt 19.719,26 EUR berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beruft sich auf den Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 02.12.2011 (BStBl I 2011, 1286), in dem das von den Klägern zitierte Urteil des BFH vom 12.05.2011 (a.a.O.) über den Einzelfall hinaus für nicht anwendbar erklärt wird.
Der Senat hat in öffentlicher Sitzung am 30.04.2014 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid 20...