Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung von Kindergeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Unterhaltsverpflichtete seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt (Anschluss an BFH v. 17.12.2008 - III R 6/07, BStBl. II 2009, 926).

 

Normenkette

EStG § 74 Abs. 2; BGB § 1601; SGB XII §§ 43, 94 Abs. 1; EStG § 74 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Familienkasse (FK) zu Recht einen Antrag der Klägerin (Klin.) auf Abzweigung von Kindergeld gemäß § 74 Einkommensteuergesetz (EStG) abgelehnt hat.

Die Klin. ist die Stadt I (I). Diese leistete an Herrn HG (HG), geboren am …1969, X-Straße, I, fortlaufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) – Kapital IV – (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – §§ 41ff. SGB XII), zuletzt aufgrund des Bescheides vom 10.03.2009 für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis 31.03.2010 in Höhe von monatlich 512,09 EUR.

Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Stellung

gemeinsame Haushaltsführung

Regelsatz lfd. Leistung SGB XII

281,00 EUR

Mehrbedarf § 30 Abs. 1 Satz 2 SGB XII

47,77 EUR

Summe

328,77 EUR

HLU-Unterkunftskosten

183,32 EUR

Summe Bedarf

512,09 EUR

Die anrechenbaren Unterkunftskosten sind wie folgt berechnet worden:

Miete/Lasten

352,56 EUR

Heizkosten

78,00 EUR

Warmwasserkosten

./.15,60 EUR

Nebenkostenabschlag

135,00 EUR

Anrechenbare UK-Kosten

549,96 EUR

549,96 EUR

Mietanteile Dritter

./. 366,64 EUR

Berücksichtigte Unterkunftskosten

183,32 EUR

Höhe 1 Mietanteil

183,32 EUR

HG ist laut des der Stadt I vorgelegten Schwerbehindertenausweises vom 24.02.2003 (gültig bis 01/2013) schwerbehindert mit einem Grad von 100 mit den Merkzeichen G, H,RF. HG besitzt bereits seit dem 09.08.1982 einen Schwerbehindertenausweis.

Er lebt im Haushalt seiner Eltern, des beigeladenen Herrn FG (FG), geboren am …1934, und der Frau MG (MG), geboren am …1936.

FG bezieht eine Altersrente in Höhe von 1.186,91 EUR/monatlich und MG eine solche in Höhe von 475,00 EUR/monatlich. HG erhält keine Arbeitseinkünfte (z. B. von einer Werkstatt für Behinderte).

Der Beigeladene FG erhält für HG von der FK fortlaufend Kindergeld (vgl. Kindergeldbescheid vom 28.02.2008), das in Höhe von zur Zeit 164 EUR/monatlich auf das gemeinsame Konto der Eltern des HG ausgezahlt wird. Die monatliche Miete zahlen die Eltern ebenfalls von ihrem gemeinsamen Konto. Weder HG noch seine Eltern verfügen über nennenswertes Vermögen.

Mit Schreiben vom 09.06.2009 beantragte die Klin. bei der FK unter Berufung auf die Bundesfinanzhof(BFH)-Urteile vom 17.12.2008 III R 6/07, BFH/NV 2009, 1001 und vom 09.02.2009 III R 37/07, BFH/NV 2009, 1015 die Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 EStG an sich als örtlichen Träger der Sozialhilfe. Eine Abzweigung sei möglich, wenn die/der Kindergeldberechtigte den Lebensunterhalt nicht mindestens in Höhe des Kindergeldes sicherstelle, wobei die Aufnahme in den Haushalt keine Unterhaltsleistung darstelle. Unterhaltsleistungen der/des Kindergeldberechtigten mindestens in Höhe des Kindergeldes seien ihr nicht bekannt.

Diesen Antrag lehnte die FK mit Bescheid vom 22.06.2009 mit der Begründung ab, eine Erstattung des Kindergeldes an die Klin. komme nicht in Betracht, weil es sich bei der von Klin. gewährten Leistung und dem Kindergeld nicht um zweckgleiche Leistungen handeln würde.

Den dagegen eingelegten Einspruch begründete die Klin. damit, aus den genannten Urteilen des BFH gehe nicht hervor, dass es sich bei der durch die Klin. erbrachten Leistung um eine zweckgleiche Leistung handeln müsse.

Die FK wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung – EE – vom 14.07.2009).

Sie führte aus, rechtskräftige Urteile würden die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger gemäß § 110 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden sei. Erst durch eine Veröffentlichung von Urteilen und Beschlüssen des BFH in Bundessteuerblatt (BStBl.) II könnten diese Entscheidungen in vergleichbaren Fällen angewendet werden. Die o. a. Urteile seien nicht veröffentlicht worden. Sie stellten also Einzelfallurteile dar, die nur die an diesen finanzgerichtlichen Verfahren Beteiligten binden würden. Der Einspruch könne daher keinen Erfolg haben.

Zur Begründung der hiergegen eingelegten Klage trägt die Klin. vor, bei den angeführten Urteilen handele es sich nicht um Einzelfallentscheidungen, sondern um Urteile, die von der Finanzverwaltung zu beachten seien.

Im Ergebnis sei den Ausführungen der Urteile auch zuzustimmen. Die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes lägen dem Grunde nach vor. Nach § 74 Abs. 1 EStG könne das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG festgesetzte Kindergeld auch an die Person oder Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewähren würde, wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme, mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig sei oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten brauche, der geringer sei als...

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