Entscheidungsstichwort (Thema)

Klageerhebung durch einen vor Löschung einer Kapitalgesellschaft ordnungsgemäß Bevollmächtigten; Klage wegen eines nicht angefochtenen Bescheides, über den versehentlich im Einspruchsverfahren entschieden wurde; Bildung von Gewerbesteuer-Rückstellungen für Veranlagungszeiträume vor 2008 nach Fahndungsprüfung Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtliche Beurteilungen eines Strafverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steuerrechtlich wird eine gelöschte GmbH als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder gegen sie ergangene Bescheide angreift. Ihre Beteiligungsfähigkeit wird durch die Löschung nicht berührt. Die Löschung einer GmbH hat zur Folge, dass ihr bisheriger gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer) seine Vertretungsbefugnis verliert. Eine vor Löschung der Gesellschaft ordnungsgemäß erteilte Prozessvollmacht kann fortwirken.

2. Erlässt das Finanzamt eine Einspruchsentscheidung bzgl. eines nicht angefochtenen Bescheides, ist die hiergegen erhobene Klage, mit der eine geänderte Festsetzung begehrt wird, unzulässig.

3. Unabhängig vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ist eine gewinnmindernde Gewerbesteuer-Rückstellung für Erhebungszeiträume, die vor dem 01.01.2008 endeten, frühestens zu dem Zeitpunkt zu bilden, in dem konkret mit einer Inanspruchnahme der entsprechenden Gewerbesteuer gerechnet werden muss.

4. Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das Finanzgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es verletzt die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht nicht dadurch, dass es sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen macht, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung diese Feststellungen zutreffend sind.

 

Normenkette

FGO § 44 Abs. 1, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 155; ZPO § 86; HGB § 249 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 5b, § 52 Abs. 12 Abs. 7

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 12.05.2020; Aktenzeichen XI B 59/19)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die für die Streitjahre 2006 und 2007 festgesetzten Gewerbesteuernachforderungen die Gewinne der Streitjahre 2006 und 2007 jeweils entsprechend mindern.

Die Klägerin ist eine mit notariellem Vertrag vom 10.02.2003 gegründete GmbH, die nach Beendigung der Liquidation erloschen ist; ein entsprechender Handelsregistereintrag erfolgte am 26.03.2018.

Alleinige Gesellschafter der Klägerin waren bei Gründung A und B („X“) Z. Mit notariellem Vertrag vom 03.11.2003 traten die beiden Gesellschafter ihre Geschäftsanteile zur Sicherung an ihre Schwester C Z ab.

Die Gesellschaft hatte das Betreiben von Gaststätten zum Unternehmensgegenstand.

Während der aktiven Geschäftstätigkeit der Klägerin waren die Brüder Z alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin; ihnen war Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erteilt worden.

Am 28.07.2016 wurde die Auflösung der Gesellschaft beschlossen; ein entsprechender Eintrag im Handelsregister liegt vor. Zu diesem Zeitpunkt schieden B („X“) und sein Bruder A Z als Geschäftsführer der Klägerin aus und A Z wurde zum alleinigen Liquidator bestellt.

Nach einer Fahndungsprüfung (vgl. den Fahndungsbericht vom 11.08.2017), erließ das Finanzamt am 12.09.2017 u.a. folgende Bescheide:

  • Körperschaftsteuerbescheid für 2006 (festgesetzte Körperschaftsteuer: 14.226 €)
  • Körperschaftsteuerbescheid für 2007 (festgesetzte Körperschaftsteuer: 4.747 €)
  • Gewerbesteuermessbescheid für 2006 (Gewerbesteuermessbetrag: 2.900 €)
  • Gewerbesteuermessbescheid für 2007 (Gewerbesteuermessbetrag: 1.245 €)

Mit diesen Bescheiden folgte das Finanzamt den Feststellungen der Fahndungsprüfung.

Diese war im Rahmen ihrer Prüfung zum Ergebnis gelangt, dass die Kassenführung der Klägerin im Prüfungszeitraum 2006 - 2010 wesentliche Mängel enthalten hätte und somit nicht ordnungsgemäß gewesen sei; für die Ermittlung der Umsätze sei somit eine Kalkulation zulässig gewesen. Diese habe ergeben, dass ein großer Anteil der Betriebseinnahmen nicht in der Buchführung erfasst sei.

So hätten im Rahmen der Fahndungsprüfung keine Tagesendsummenbons (sog. Z-Bons) für den Prüfungszeitraum vorgelegt werden können, da diese den Angaben der Geschäftsführung der Klägerin zufolge sämtlich vernichtet worden seien. Außerdem habe sich für 2008 an 70 Tagen jeweils ein Kassenfehlbetrag ergeben. Die von der Fahndungsprüfung durchgeführte Nachkalkulation habe ergeben, dass die Restaurantumsätze der Klägerin im kompletten Prüfungszeitraum nicht vollständig gegenüber dem Finanzamt erklärt worden seien.

Da der Sachverhalt im Einzelnen dem Umfang und der Höhe nach jedoch nicht mehr exakt ermittelbar war – und somit ein Fall der erschwerten Sachverhaltsermittlung vorlag – sowie der steuerliche Rechtsfrieden hergestellt werden sollte, wurde am 24/31.07.2017 eine tatsächliche Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen getroffen.

In dieser tatsächlichen Verständigung wurde niedergelegt, dass sie nicht...

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