Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung wegen eines krankheitsbedingten Umbau des Wohnhauses
Leitsatz (amtlich)
1. Ziel des§ 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen.
2. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine Vornahme der Maßnahmen im Hinblick auf eine erwartbare gesundheitliche Entwicklung widerspricht der vom Gesetz geforderten Zwangsläufigkeit.
Normenkette
AO § 163 Abs. 1, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG § 33
Tatbestand
Streitig ist die Ablehnung des Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO zur Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen.
Mit Einreichung der Einkommensteuererklärung machten die Kläger für das Jahr 2018 außergewöhnlichen Belastungen i.H.v. 47.404 € geltend. Zur Erläuterung führten sie aus, dass insgesamt Aufwendungen für den altersbedingten Hausumbau in Höhe von 142.097 € entstanden seien. Nach Abzug von 30 % für "gehobenen Standard" sowie eines KFW-Zuschusses werde ein Betrag von 94.807,79 €, der auf zwei Jahre zu verteilen sei, geltend gemacht.
Die Kläger legten den Bescheid des Zentrums Familie und Soziales Unterfranken Versorgungsamt vom 29.10.2019 vor, in dem beim Kläger ab dem 23.09.2019 ein Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen G festgestellt wird.
Weiter legten sie eine ärztliche Bescheinigung des Dr. med. A vom 25.06.2019 vor, in der ärztlicherseits bestätigt wird, dass bei der Klägerin und dem Kläger "aus multiplen internistischen und orthopädischen Gründen ein altersgerechter bzw. behindertengerechter Umbau der Wohnung aus medizinischer Sicht dringend anzuraten ist."
Während des Veranlagungsverfahrens führte das Finanzamt bei den Klägern in der Zeit vom 04.02.2020 bis 23.02.2020 eine sogenannte betriebsnahe Veranlagung durch, die mit Bericht vom 24.03.2020 abgeschlossen wurde.
Die betriebsnahe Veranlagung kam zu dem Ergebnis, dass die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht gegeben sei und die Kosten daher nicht berücksichtigt werden könnten. Der medizinische Dienst sei zwar vor Ort gewesen, habe aber keine Bescheinigung über das Erfordernis der durchgeführten Maßnahmen ausgestellt, da die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten sei, dass die durchgeführten Maßnahmen als zwingend erforderlich erschienen hätten. Der Kläger sei im Jahr 2020 noch nicht auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen. Bei der anzunehmenden Verschlechterung des Krankheitsbildes könne dies in 2 bis 3 Jahren der Fall sein.
Das Finanzamt erließ den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 06.04 2020 ohne Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen.
Es führte in den Erläuterungen zur Festsetzung aus:
"Im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen wurden Umbaumaßnahmen i.H.v. 94.807,79 € verteilt auf 2 Jahre beantragt. Da der Nachweis der Zwangsläufigkeit (z.B. Gutachten des Medizinischen Dienstes) nicht vorgelegt werden konnte, sind die Kosten nicht zu berücksichtigen, siehe R 33.4 zu § 33 EStG. Der Festsetzung/Feststellung liegen die Ergebnisse der bei Ihnen durchgeführten betriebsnahen Veranlagung zugrunde."
Mit dem Einspruch trug der frühere steuerliche Vertreter der Kläger vor:
"Der Medizinische Dienst war vor Ort. Dabei wurden die getätigten Maßnahmen begutachtet und als vorbildlich für dieses Krankheitsbild an sich bewertet. Jedoch sei die Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten, dass die Maßnahmen auch zu diesem Zeitpunkt (2018) als zwingend notwendig erscheinen."
Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos.
Die Prozessbevollmächtigten haben Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 06.04 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.01.2021 erhoben und u.a. beantragt, krankheitsbedingte Umbaukosten von insgesamt 94.807,79 € als außergewöhnliche Belastung zur Hälfte 2018 und zur Hälfte 2019 und hilfsweise alle in 2018 abzuziehen.
Die Klage wird beim Finanzgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 3 K 218/21 geführt. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 14.05.2021 ausgesetzt, da die Entscheidung über den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung für 2018 nach § 163 Abs. 1 AO für das anhängige Verfahren vorgreiflich sei. Nach der Rechtsprechung des BFH ist diese Billigkeitsentscheidung als Grundlagenbescheid für das Steuerfestsetzungsverfahren anzusehen.
Mit Schreiben vom 12.03.2021 haben die Kläger einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO für das Kalenderjahr 2018 gestellt.
Es wurde vorgetragen, dass bei der Diagnose COPD und dem aktuellen Schweregrad III nahezu sicher sei, dass die noch fehlende graduelle Verschlechterung auf abs...