FG Nürnberg Urteil vom 08.04.2014 - 1 K 554/12

Beschwerde eingelegt (BFH VIII B 84/14)

Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermesensausübung: Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen bei rückwirkender Gesetzesänderung

Leitsatz (redaktionell)

Können sich Steuerpflichtige im Zeitpunkt einer Vermögensdisposition auf eine durch ein BMF-Schreiben gesicherte Rechtsauffassung verlassen, führt dies zu einem gewichtigen Vertrauenstatbestand. Ist eine durch ein BMF-Schreiben angewandte Berechnungsmethodik für den Steuerpflichtigen erkennbar nicht system- und verfassungswidrig, wiegt auch dies für den Vertrauensschutz. Im Rahmen der Anwendung der Steuerfestsetzung im Billigkeitsweg gem. § 163 AO hat das Finanzamt die Pflicht, eine entsprechende Entlastung im Einzelfall vorzunehmen. Unter Umständen reduziert sich das Ermessen auf Null.

Normenkette

EStG § 20; AO §§ 167, 163

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 28.01.2015; Aktenzeichen VIII B 84/14)

Tatbestand

Streitig ist, ob eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen durchzuführen ist.

Die Kläger sind Ehegatten, die in den Streitjahren 1998 – 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte als Zahnarzt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, die Klägerin als Zahnarztsekretärin Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.

Die Kläger verkauften in den Jahren 1999 und 2000 Südafrikanische Staatsanleihen in der Währung Südafrikanische Rand (ZAR) mit den Wertpapier-Kennnummern (WKN) 111111, 222222 sowie 333333, die sie in den Vorjahren erworben hatten.

Die Beteiligten gehen einvernehmlich davon aus, dass diese Wertpapiere keine Emissionsrendite hatten und stimmen darin überein, dass die Besteuerung der Gewinne / Verluste, die bei der Veräußerung der Wertpapiere angefallen sind, gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 EStG zu erfolgen hat.

Die Kläger machten Verluste von 830.724 DM (1999) bzw. 317.438 DM (2000) in ihren Einkommensteuererklärungen als Verluste aus Kapitalvermögen geltend, die sie wie folgt berechneten:

1999:

Wertpapier-Kennnummer (WKN)	Nennwert (in Tausend Rand)	Kauf	AK (in DM)	Verkauf 1999	Erlös (in DM)	erklärter Verlust (in DM)
111111	2.500	07.09.1989	1.393.540	07.12.1999	739.981	653.559
222222	250	22.07.1993	86.468	07.12.1999	72.112	14.356
222222	110	24.07.1997	41.461	07.12.1999	31.729	9.732
222222	1.100	02.09.1993	383.830	07.12.1999	317.291	66.539
222222	800	21.07.1994	298.932	07.12.1999	230.757	68.175
222222	150	27.02.1997	51.374	07.12.1999	43.267	8.107
222222	140	02.03.1998	50.638	07.12.1999	40.382	10.256
					Summe:	830.724

2000:

Wertpapier-Kennnummer (WKN)	Nennwert (in Tausend Rand)	Kauf	AK (in DM)	Verkauf 2000	Erlös (in DM)	erklärter Verlust (in DM)
333333	250	vor 1993	148.890	in 2000	71.234	77.656
111111	880	vor 1993	490.526	in 2000	250.744	239.782
					Summe:	317.438

Die Ermittlung der Verluste entsprach der Methode der Verfügung des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Jahr 1995 (BMF-Schreiben vom 24.10.1995, Az.: IV B 4 – S 2252 – 289/95, DB 1995, 2293), die im Einvernehmen mit den Bundesländern abgefasst worden war. Danach waren die in DM umgerechneten Auszahlungsbeträge den in DM umgerechneten Anschaffungspreisen gegenüberzustellen. Die Verluste resultierten im Streitfall daraus, dass sich neben dem im Zeitpunkt des jeweiligen Veräußerungsvorgangs maßgeblichen Kurswert der Wertanlage auch der aktuelle Devisen-Wechselkurs auswirkte.

Das Finanzamt veranlagte zunächst erklärungsgemäß, jedoch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Am 30.04.2004 erließ das Finanzamt für sämtliche Streitjahre Einkommensteueränderungsbescheide, in denen es der Berechnungsweise der Kläger nicht mehr folgte. Es ermittelte nun die Einnahmen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2001 i.V.m. § 52 Abs. 37b EStG 2001 in der Weise, dass es dem Endfälligkeitswert in ZAR die Einstandskosten in ZAR gegenüberstellte und diese Differenz mit dem Kurs am Verkaufstag in DM umrechnete. Hierbei ermittelte es aus der Veräußerung der Wertpapiere für 1999 einen Gewinn in Höhe von 155.574 DM und für 2000 einen Gewinn in Höhe von 40.540 DM:

1999:

Wertpapier-Kennnummer (WKN)	Nennwert (in Tausend Rand)	Kauf	Verkauf	Kurswert in %	Kurswert (in ZAR)	Gewinn (in DM)
111111	2.500	07.09.1989		78,62	1.965.500
111111	2.500		07.12.1999	96,10	2.402.500
				Gewinn:	437.000	134.598
222222	250	22.07.1993		91,50	228.750
222222	110	24.07.1997		92,70	101.970
222222	1.100	02.09.1993		93,00	1.023.000
222222	800	21.07.1994		87,00	696.000
222222	150	27.02.1997		89,08	133.613
222222	140	02.03.1998		97,60	136.638
222222	2.550		07.12.1999	93,65	2.388.075
				Gewinn:	68.104	20.976
					Summe:	155.574

2000:

Wertpapier-Kennnummer (WKN)	Nennwert (in Tausend Rand)	Kauf	Verkauf	Kurswert in %	Kurswert (in ZAR)	Gewinn (in DM)
333333	250	vor 1993		84,00	210.000
333333	250		in 2000	96,10	240.250
				Gewinn:	30.250	8.969,13
111111	880	vor 1993		84,00	739.200
111111	880		in 2000	96,10	845.680
				Gewinn:	106.480	31.571,32
					Summe:	40.540,45

Gegen die Änderungsbescheide erhoben die Kläger fristgerecht Einspruch. Diesen begründeten sie u.a. damit, dass die rückwirkende Änderung der bis 31.12.2000 geltenden Steuer...