Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein Kind, das wegen der durch den Mangel an Krippenplätzen erzwungenen Ausbildungsunterbrechung zur Betreuung des Kindeskindes dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Entscheidet ein Kind, sich zugunsten der Betreuung des eigenen unter drei Jahre alten Kindes vorerst nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, ist es - selbst bei ungekürztem Bezug von ALG II - nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG als Kind zu berücksichtigen.

2. Voraussetzung für eine Berücksichtigung als Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. c) EStG ist ein objektiver Mangel an Ausbildungsplätzen. Eine durch einen Mangel an Betreuungsplätzen erzwungene Ausbildungsunterbrechung zur Eigenbetreuung des Kindeskindes reicht für eine Berücksichtigung nicht aus.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 Nrn. 1, 2 Buchst. c, § 70 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Kindergeld für ein volljähriges Kind unter 21 Jahren, welches mangels Fremdbetreuungsmöglichkeit ein eigenes Kind unter drei Jahren betreut, zu gewähren ist.

Nach dem Tod der Kindsmutter bezog der ledige Kläger seit April 2013 laufend Kindergeld für seine am xx.03.1996 geborene Tochter A. Die Tochter absolvierte ab 01.09.2013 eine dreijährige Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten. Mit Bescheid über Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) vom 06.07.2016 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes ab August 2016 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf.

Durch Mitteilung des Klägers vom 01.08.2016 erlangte die Familienkasse Kenntnis davon, dass sich die Tochter bis 14.12.2015 in Elternzeit befunden hatte, ihr zum 17.12.2015 gekündigt worden war und sie ab 22.12.2015 bei der Agentur für Arbeit ausbildungsplatzsuchend gemeldet sei. Die Tochter werde vom Arbeitsamt seit der Kündigung betreut, von diesem sei sie darauf hingewiesen worden, dass ohne Kindertagesplatz eine Bewerbung für eine Ausbildung keinen Sinn mache. Es seien vier Anträge auf einen Kindertagesplatz gestellt worden. Die Tochter lebe seit Dezember 2014 nicht mehr in seinem Haushalt und unterhalte einen eigenen Hausstand.

Die Abfrage der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Daten ergab den Bezug von Landeserziehungsgeld im Zeitraum von 16.12.2015 bis 15.06.2016, Arbeitslosigkeit (02.06.2016 bis 17.06.2016), Ortsabwesenheit (03.06.2016 bis 17.06.2016) sowie eine Fortsetzung der Elternzeit von 18.06.2016 bis 13.12.2017. Im September 2016 meldete sich die Tochter erneut bei der Agentur für Arbeit im Bereich Arbeitsvermittlung als ausbildungssuchend und teilte mit, sie habe ab Oktober 2016 einen Kinderbetreuungsplatz.

Mit Bescheid über Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) vom 27.09.2016 setzte die Familienkasse Kindergeld fest. Mit weiterem Bescheid vom 27.09.2016 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum von Januar 2016 bis Mai 2016 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf mit der Begründung, die Tochter sei nur vom 02.06.2016 bis 17.06.2016 als arbeitsuchendes Kind geführt worden, eine Ausbildung von ihm nach Aktenlage im genannten Zeitraum nicht angestrebt worden. Es stellte eine Überzahlung von Kindergeld in Höhe von 950 € fest und rechnete mit dem Kindergeld für August und September 2016 in Höhe von 380 € sowie die Restforderung von 570 € ab Oktober 2016 gemäß § 75 Abs. 1 EStG in monatlichen Raten von 50 % des zustehenden Kindergeldanspruches auf.

Der Kläger legte Einspruch ein und einen Vermerk der Bundesagentur für Arbeit (Typ: "Empfang/EZ-Vermerk" und Betreff: "111e/EZ/fristlose AG-Kündigung - Verfügbarkeit aufgr. fehl. KiBetr. noch nicht gegeben") über die Vorsprache der Tochter vom 22.12.2015 vor. Dieser lautet im Textteil:

"… KD teilt mit, dass die Elternzeit geendet hat. Leider hat sie noch keinen Kita-Platz gefunden. Deshalb kann sie nicht arbeiten. Voraussichtlich im September 2016 wird sie ihre Tochter in die Kita bringen. KD auf Krankenversicherung hingewiesen. KD will im Sept. nächsten Jahres entweder ihre Ausbildung fortsetzen oder eine neue beginnen. KD wird erneut pers. vorsprechen, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt ist."

Die Prozessbevollmächtigte legte Bescheinigungen über vergebliche Anmeldungen durch die Tochter des Klägers bei vier verschiedenen Kindertagesstätten vom Januar 2015, April 2015, Dezember 2015 und Februar 2016 vor. Von dem zuständigen Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit habe die Tochter die Auskunft erhalten, aufgrund ihres kleinen Kindes sei sie nicht vermittelbar und werde deshalb nicht als arbeitsuchend aufgenommen. Wenn sie einen Betreuungsplatz habe, könne sie sich wieder melden. Der Tochter sei erst zum 01.10.2016 ein Betreuungsplatz angeboten worden, obgleich sie einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nach Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes gehabt habe. Sie sei arbeits- und ausbildungswillig gewesen. Eine behördliche Unterstützung für eine vorrangige Berücksichtigung bei den Kindertagesstätten wäre erforderlich gewesen, um einen Betreu...

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