Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch einer nicht erwerbstätigen italienischen Staatsangehörigen für die in ihrem Haushalt lebenden Kinder des in Deutschland nicht erwerbstätigen Kindesvaters

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat eine Familienangehörige eines in Deutschland kindergeldberechtigten Kindesvaters die Kinder in einem anderen EU-Mitgliedsstaat in ihrem Haushalt aufgenommen, wird der Kindergeldanspruch für alle Familienangehörigen ausschließlich durch den Wohnort des kindergeldberechtigten Kindesvaters ausgelöst, so dass Familienangehörige bei Aufnahme der Kinder in ihrem Haushalt vorrangig und ausschließlich Ansprüche auf Kindergeldleistungen des Mitgliedstaates des Kindesvaters haben, wenn Ihnen diese Ansprüche nach dem Recht des Mitgliedstaates des Kindesvaters zustehen.

 

Normenkette

EStG § 70 Abs. 2; EGVO-883/2004 Art. 68 Abs. 2 Sätze 1, 3, Abs. 1b iii

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.02.2021; Aktenzeichen III R 2/20)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Aufhebung von Kindergeldfestsetzungen rechtmäßig ist.

Die Klägerin ist italienische Staatsangehörige und wohnt in Italien. Sie ist nicht erwerbstätig und bezieht keine Rente. Ihre Kinder A, geboren am xx.xx.1996, C, geboren am xx.xx.1999, und B, geboren am xx.xx.2005, leben in ihrem Haushalt.

Der Kindsvater, ebenfalls ein italienischer Staatsangehöriger, wohnt in Deutschland, ist nicht erwerbstätig und erhält Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Er und die Klägerin führen in Italien keinen gemeinsamen Haushalt.

In Italien bestehen für die Kinder keine Ansprüche auf Familienleistungen.

Mit Bescheid vom 30.12.2014 setzte die Beklagte zugunsten der Klägerin für A ab Mai 2010, für C ab Mai 2010 bis Dezember 2017 und für B ab Mai 2010 bis April 2023 Kindergeld fest.

Am 05.10.2015 bewilligte die Beklagte der Klägerin für A Kindergeld ab August 2015 bis September 2015 und am 10.05.2016 für Oktober 2015 und November 2015.

Am 16.02.2017 versendete die Beklagte an die Klägerin einen Fragebogen zur Prüfung der Ansprüche auf Kindergeld. Darin gab die Klägerin an, dass A arbeitssuchend und C im Freiwilligendienst sei. Nachweise hierfür legte sie nicht vor.

Mit Bescheid vom 05.12.2017 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung vom 10.05.2016 für A sowie die Kindergeldfestsetzungen vom 30.12.2014 für C und B ab Juli 2017 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf. Zur Begründung gab sie an, dass sich die für den Anspruch auf Kindergeld wesentlichen Verhältnisse geändert hätten. Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 b) iii) VO (EG) Nr. 883/2004 sei Italien vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig, weil konkurrierende Ansprüche auf Kindergeld und auf italienische Familienleistungen bestünden, die beide durch den Wohnsitz ausgelöst würden und die Kinder in Italien wohnhaft seien. Differenzkindergeld im Sinne des Art. 68 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 sei gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht zu gewähren, weil der Anspruch auf Kindergeld ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst werde.

Den Bescheid versendete die Beklagte per Einschreiben mit Rückschein an die Klägerin. Der Rückschein ging der Beklagten am 22.01.2018 zu. Das darauf handschriftlich angegebene Auslieferungsdatum ist nicht eindeutig feststellbar.

Gegen den Aufhebungsbescheid vom 05.12.2017 legte die Klägerin Einspruch ein, welcher der Beklagten am 18.01.2018 zuging.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19.03.2018 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen vorträgt:

Der Aufhebungsbescheid sei rechtswidrig. Der Klägerin stünden für ihre Kinder Ansprüche auf Kindergeld zu. Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 sei nicht anwendbar, weil er nach seinem eindeutigen Wortlaut voraussetze, dass für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren seien (vgl. Art. 68 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004). Eine solche Anspruchskonkurrenz bestehe jedoch nicht, weil für die Kinder der Klägerin nach italienischem Recht keine Familienleistungen zu gewähren seien, sondern nur Ansprüche auf Kindergeld bestünden. In solchen Fällen sei jedoch der Anspruch auf Kindergeld auch dann zu erfüllen, wenn er gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO (EG) Nr. 883/2004 durch den Wohnort ausgelöst werde.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 05.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.03.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auch weiterhin Kindergeld in gesetzlicher Höhe für ihre Kinder A, C und B zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Kindergeldfestsetzungen seien zu Recht nach § 70 Abs. 3 EStG aufgehoben worden. Ansprüche auf Kindergeld seien ab Juli 2017 gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 ausgeschlossen, weil die Kinder der Klägerin in Italien wohnhaft seien und die Ansprüche auf Kindergeld allein durch den Wohnort...

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