Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensausübung bei der Entscheidung über den Erlass von Nachzahlungszinsen

 

Leitsatz (amtlich)

Im Regelfall ist eine Zinsdifferenz von bis zu einem Monat zumutbar; in Sonderfällen kann ein taggenauer Erlass von Nachzahlungszinsen gerechtfertigt sein. Verkennt das Finanzamt dies bei der Entscheidung über einen Erlassantrag, ist die Entscheidung ermessensfehlerhaft und aufzuheben.

 

Normenkette

AO §§ 223a, 238

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte zum Erlass von "Nachzahlungszinsen" ("Vorfälligkeitszinsen") gemäß § 233 a AO verpflichtet ist, die er im Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 15.05.2000 festgesetzt hat.

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Am 01.03.2000 gaben sie ihre Einkommensteuererklärungen für 1998 und für 1999 ab. Im März 2000 - ob Anfang oder Ende März ist streitig - bat der Kläger den Beklagten telefonisch um rasche Bearbeitung der Steuererklärungen 1998 und 1999 und teilte mit, seine Frau und er müssten voraussichtlich für 1998 erhebliche Nachzahlungen leisten, rechneten jedoch für 1999 mit einer Erstattung; sie wollten die Forderungen, soweit möglich, gegeneinander aufrechnen. Die Kläger hofften wohl außerdem, dass die Veranlagung für 1998 im Laufe der Monate März oder April 2000 durchgeführt werden würde, weil dann keine "Nachzahlungszinsen" angefallen wären. Gemäß § 233 a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 2 AO ist die Differenz zwischen der festgesetzten Steuer und den Vorauszahlungen nach fünfzehn Monaten seit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist - hier also ab dem 01.04.2000 - mit 0,5 % pro vollem Monat zu versteuern.

.Ein Telefonat mit der Veranlagungssachbearbeiterin, das nach Meinung des Klägers Ende März geführt wurde, bestärkte den Kläger in der Annahme, dass die Veranlagung bald durchgeführt werden würde.

Am 06.04.2000 wurde die Steuererklärung 1998 auf Sachbearbeiterebene bearbeitet, dann allerdings in eine "Wartestellung" gebracht und nicht an die zeichnungsberechtigten Vorgesetzten weitergeleitet. Mitte April 2000 erkundigte sich der Kläger beim Beklagten nach dem Steuerbescheid für 1998. Dabei stellte sich heraus, dass der Bescheid noch immer in der "Wartestellung" war. Nach Freigabe auf Sachbearbeiterebene "klickte" ein zeichnungsberechtigter Vorgesetzter bei dem Versuch, den Bescheid für 1998 freizugeben, im Computer versehentlich das Jahr 1997 an. Hierdurch verzögerte sich der Erlass des Steuerbescheides weiter.

Die Kläger erkannten noch im April, dass sich ihre Erwartung, der Steuerbescheid werde noch vor Ablauf des Monats wirksam werden, nicht erfüllen werde. Hierauf zahlten sie 315.000 DM an den Beklagten; der Zahlungseingang erfolgte am 28.04.2000. Dieser Betrag entsprach annähernd der später im Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 15.05.2000 berechneten Nachforderung in Höhe von 338.924 DM. Die Kläger hofften, durch die freiwillige Zahlung vor Ablauf des Monats April die Festsetzung von Nachzahlungszinsen verhindern bzw. ihren Erlass aus Billigkeitsgründen herbeiführen zu können, weil gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO Zinsen nur für volle Monate festgesetzt werden.

Mit Bescheid vom 15.05.2000 setzte der Beklagte - neben der Einkommensteuer 1998 - Nachzahlungszinsen in Höhe von 1.694 DM für die Zeit vom 01.04.2000 bis 18.05.2000 fest. Bei der Berechnung der Zinsen ging er von der dem Gesetz entsprechend abgerundeten Steuernachzahlung in Höhe von 338.900 DM aus und berücksichtigte nur den Monat April mit einem Zinssatz von einhalb vom Hundert. Die Tage im Mai wurden im Hinblick auf § 238 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Zinsberechnung nicht berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 24.05.2000 legten die Kläger gegen die Festsetzung der Zinsen Einspruch ein. Im Schreiben vom 14.11.2000 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass dem Einspruch nicht entsprochen werden könne. Mit Schreiben vom 17.11.2000 beantragten die Kläger den Erlass der Zinsen. Mit Schreiben vom 01.12.2000 lehnte der Beklagte auch den Erlass der Zinsen ab. Hiergegen legten die Kläger am 15.12.2000 gleichfalls Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidungen vom 08.01.2002 wies der Beklagte beide Einsprüche zurück. Hierbei wurde die Ermessensentscheidung über den Erlass mit fast den gleichen Worten begründet, wie die gebundene Entscheidung über die Festsetzung der Zinsen. Im Bescheid vom 01.12.2000 und in der Einspruchsentscheidung vom 08.01.2002 über den Antrag auf Erlass der Zinsen führte der Beklagte aus, dass und weshalb die Zinsfestsetzung nicht im Ermessen des Finanzamts stehe. Der "Tatbestand der späten Steuerfestsetzung" sei auch dann, wenn sie vom Finanzamt zu vertreten sei, kein sachlicher Billigkeitsgrund im Sinne des § 227 AO, der einen Erlass rechtfertigen würde. Selbst wenn eine schuldhafte Verzögerung durch das Finanzamt festzustellen wäre, stünde der Grundsatz von Treu und Glauben der Zinsfestsetzung nicht entgegen, wie das BFH - Urteil vom 08.09.1993 1 R 30/93 zeige. Den rechtlichen Ausführungen der Kläger könne nicht gefolgt...

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