Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines bestandskräftigen Aufhebungsbescheides
Leitsatz (redaktionell)
Ein Rechtsirrtum über die materielle Rechtslage (hier: Nichtansatz der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei der Ermittlung des Grenzbetrages für die Kindergeldfestsetzung) stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2-4, § 31; AO §§ 110, 110 Abs. 2 S. 2, § 155 Abs. 4, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 362 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Änderung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheids vorliegen.
Die Beklagte bezog laufend Kindergeld für ihren Sohn S (geb. xxx.1985). Mit Bescheid vom 29.08.2003 wurde die Kindergeldfestsetzung für S ab August 2003 (Vollendung des 18. Lebensjahrs) aufgehoben. Grund dafür war, dass nach den vorgelegten Unterlagen die voraussichtlichen Einkünfte und Bezüge von S den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen werden. Der Aufhebungsbescheid wurde bestandskräftig.
Am 21.07.2004 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für S. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 15.09.2004 abgelehnt, weil nach der von der Beklagten durchgeführten Berechnung die Einkünfte aus dem Ausbildungsverhältnis den für das Jahr 2004 maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschreiten würden.
Im Einspruchsverfahren führte die Klägerin aus, die Einkünfte und Bezüge von S würden den Grenzbetrag nicht überschreiten, weil die von S geleisteten Sozialversicherungsbeiträge herauszurechnen seien. Sie bat insoweit um ein Ruhen des Verfahrens, bis der Bundesfinanzhof (BFH) eine richterliche Entscheidung getroffen habe. Um welches beim BFH anhängige Verfahren es sich dabei handeln sollte, teilte die Klägerin nicht mit. Darauf hin übersandte die Beklagte der Klägerin einen Abdruck des BFH-Urteils vom 04.11.2003 VIII R 59/03, BStBl. II 2004, 584, woraus sich ergab, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht um die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern seien. Wörtlich führte sie dabei aus: "In Anbetracht der ergangenen Rechtsprechung bitten wir um Mitteilung, ob ihr Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid weiterhin aufrecht halten wird, oder sich aufgrund des rechtskräftigen Urteils vom 04.11.2003 erledigt hat."
Mit Schreiben vom 08.11.2004 überschrieben mit "Rücknahme meines Einspruchs vom 10.10.2004" nahm die Klägerin ihren Einspruch zurück "da sich dieser aufgrund des Urteils des BFH vom 04.11.2003 erledigt hat".
Mit Schreiben vom 30.05.2005 machte die Klägerin erstmals geltend, sie wolle ihren Einspruch (gegen den Ablehnungsbescheid vom 15.09.2004) aufrecht erhalten, da durch das Bundesverfassungsgericht am 11.01.2005 Az. 2 BvR 167/02 entschieden worden sei, dass die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu Lasten der unterhaltsverpflichteten Eltern gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoße. Die Begründung im Ablehnungsbescheid vom 15.09.2004 sei damit widerlegt.
Mit Bescheid vom 10.08.2005 bewilligte die Beklagte daraufhin Kindergeld für S ab Oktober 2004. In der Begründung führte sie aus, eine Kindergeldbewilligung für den Zeitraum vor Oktober 2004 komme nicht in Betracht, weil dem die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 15.09.2004 entgegen stehe.
Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum vor Oktober 2004 begehrt, hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin, den Ablehnungsbescheid vom 10.08.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 14.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Kindergeld für S ab August 2003 bis einschließlich September 2004 zu bewilligen.
Zur Begründung trägt sie, vertreten durch ihren Bevollmächtigten vor, der Anspruch auf Kindergeld folge aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Aufgrund der bestandskräftigen Ablehnung mit Bescheid vom 15.09.2004 würde die Klägerin schlechter als diejenigen stehen, die überhaupt keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hätten und nunmehr nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 erstmals einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld stellen würden. Diesen Antragstellern könne Kindergeld rückwirkend für vier Jahre bewilligt werden.
Darüber hinaus sei auch der Gesichtspunkt einer inhaltlich falschen bzw. zumindestens unvollständigen Behördenmitteilung mit alleinigem Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung maßgebend, weil hierbei das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht nicht erwähnt worden sei. Insofern liege eine Amtspflichtverletzung vor. Die Rücknahmeerklärung sei nicht freiwillig erfolgt, da sie allein auf der falschen Behördenmitteilung beruhe.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, eine rückwirkende Bewilligung von Kindergeld für S für den Zeitraum vor Oktober 2004 komme nicht in Betracht, weil dem die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 15.09.2004 ent...