Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anwendung der Grundsätze der Schätzung des Gewinns (größtmögliche Wahrscheinlichkeit, schlüssige, wirtschaftlich mögliche und vernünftige Schätzungsergebnisse, Einhaltung des Schätzungsrahmens) im konkreten Einzelfall - Merkmal der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Merkmal der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfordert eine Tätigkeit, die gegen Entgelt am Markt erbracht und für Dritte äußerlich erkennbar angeboten wird. Es dient dazu, solche Betätigungen auszugrenzen, die zwar von einer Gewinnerzielungsabsicht getragen, aber nicht auf einen Güter- und Leistungsaustausch gerichtet sind. Erkennbar angeboten wird die Tätigkeit auch dann, wenn sie nur einem einzigen Marktteilnehmer angeboten wird. Maßgeblich ist dabei allein die Erkennbarkeit für einen oder mehrere Auftraggeber. Dritten Geschäftspartnern des Auftraggebers braucht demgemäß nicht deutlich zu werden, ob die Tätigkeit vom Auftragnehmer als Subunternehmer selbständig oder im Anstellungsverhältnis unselbständig geleistet wird. Geschäftsbeziehungen mit mehreren, womöglich ständig wechselnden Kunden sprechen zwar im Allgemeinen deutlicher für das erforderliche Teilhaben am Marktgeschehen, sie sind aber kein unerlässliches Erfordernis. Die Eigenschaft als Marktteilnehmer wird indes nicht in Frage gestellt, wenn die Leistungen an einen einzigen Abnehmer erbracht werden.
2. a) Ein ungeklärter Geldzuwachs im Privatvermögen oder eine ungeklärte Einlage in das Betriebsvermögen rechtfertigen unter weiteren Voraussetzungen auch bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung die Annahme, dass höhere Betriebseinnahmen erzielt und höhere Privatentnahmen getätigt als gebucht wurden.
2b) Einzahlungen auf betriebliche Bankkonten aus dem Privatvermögen, die als Einlagen verbucht werden, führen zu einer verstärkten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen, weil dieser durch die Mittelzuführung selbst eine Verbindung zwischen seinem Privat- und Betriebsvermögen herstellt.
2c) Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen kann auch durch einen Zuschlag zu den Betriebseinnahmen oder einen Abschlag von den Betriebsausgaben erfolgen, um dadurch den Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die durch die punktuelle Feststellung von sachlichen Fehlern in den Unterlagen des Steuerpflichtigen eingetreten sind (sog. (Un-)Sicherheitszuschlag).
Normenkette
AO § 162; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Schätzung von Einkünften aus Gewerbebetrieb zu Recht erfolgt ist.
Der Kläger, der mit seiner Ehefrau, der Klägerin, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, absolvierte von 1983 bis 1986 eine Lehre als Stuckateur; anschließend war er nach eigenen Angaben in diesem Beruf etwa 20 Jahre lang nichtselbständig beschäftigt. Die Kläger errichteten 1997 in Q ein Wohnhaus, das sie bis zum Jahr 2007 selbst nutzten; danach vermieteten sie das Gebäude und veräußerten es im Jahr 2013. In den Jahren 2006 und 2007 erstellten sie ein Wohngebäude in G, welches nach Fertigstellung im März 2007 eigenen Wohnzwecken diente.
Die Einkommensteuererklärung für das Jahre 2001 bis 2010 reichten die Kläger jeweils im Folgejahr beim Beklagten ein. Am 17. August 2009 erstattete Herr K.S., der Bruder des Klägers, beim Hauptzollamt Anzeige (vgl. Bl. 50 ff. Proz.-Akte 2 K 2220/17) und erklärte, der Kläger betreibe seit ca. 20 Jahren ein gewerbliches Stuckateurgeschäft. Er habe sich ein eigenes Baugerüst, eine Verputzmaschine und einen Anhänger angeschafft. In L habe der Kläger im Jahr 2004 Außen- und Innenputzarbeiten durchgeführt, in E in den Jahren 2006/2007 ebenfalls Verputzarbeiten. Der Bruder des Klägers führte weiterhin aus, dass die Entlohnung seiner Kenntnis nach in bar erfolgt sei. Er gehe davon aus, dass der Kläger 5,00 bis 6,00 € je Quadratmeter Verputzfläche zzgl. Sonderleistungen erhalte. Der Gesamtpreis je Haus belaufe sich auf durchschnittlich 5.000,00 €. Auch Extrakosten für die Stellung des Gerüstes seien berechnet worden.
Im Jahr 2011 leitete die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts eine Steuerfahndungsprüfung für das Streitjahr und die Folgejahre beim Kläger ein. Im Rahmen einer Durchsuchung der Wohnräume des Klägers am 27. September 2011 wurden auf die entsprechenden Jahre bezogene Barkaufbelege, weitere Unterlagen sowie Daten sichergestellt sowie der Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass gegen ihn für die genannten Jahre steuerlich ermittelt wird (vgl. Bl. 12 Steufa-Berichtsakte; Niederschrift vom 27. September 2011). Im Verlauf des Verfahrens stellte die Steuerfahndungsstelle fest, dass in den Jahren 2001 bis 2010 auf Bankkonten des Klägers Bareinzahlungen in einer Größenordnung zwischen 4.700,00 und 20.600,00 € jährlich erfolgt waren (vgl. Bl. 37 ff., 95 Steufa-Akten -Beiakte-). In dem im Mai 2007 beim Beklagten eingereichten Antrag auf Eigenheimzulage für das Gebäude in G gaben die Kläger an, dass die Anschaffungs...