Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Mitgeschäftsführers einer geschäftsführenden Komplementär-GmbH für Lohnsteuerschulden der KG trotz Berufung auf eine interne Aufgabenverteilung
Leitsatz (amtlich)
1. Sind in einer Gesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft jeden von ihnen die Verantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft (Grundsatz der Gesamtverantwortung eines jeden gesetzlichen Vertreters). Diese kann durch eine lediglich mündlich vereinbarte interne Ressortverteilung nicht begrenzt werden. Eine solche Begrenzung der Verantwortlichkeit ist aber auch bei Vorliegen einer klaren vorweg getroffenen schriftlichen Zuständigkeitsvereinbarung nur solange möglich, als die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft keine Veranlassung zur Überprüfung gibt.
2. Hypothetische Kausalverläufe - hier Annahme einer insolvenzrechtlichen Anfechtung gedachter Steuerzahlungen - finden bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers nach § 69 AO keine Berücksichtigung.
Normenkette
AO §§ 34, 69, 191 Abs. 1; InsO § 130; GmbHG § 64
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger als Geschäftsführer für nicht abgeführte Lohnsteuern haftet.
Der Kläger war im Streitzeitraum (Januar bis März und September und Oktober 2010) Geschäftsführer der H Verwaltungs-GmbH in H (künftig: GmbH). Weiterer Geschäftsführer der GmbH war neben dem Kläger bis zum 06.09.2010 Herr H. Die GmbH ist persönlich haftende Gesellschafterin der B GmbH & Co.KG in H (künftig: KG). Gegenstand des Unternehmens ist die industrielle Serienfertigung von Objektmöbeln (Schulmöbeln etc.).
Mit dem Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 wurde dem Kläger zugesichert, dass bestehende Lohnsteuerschulden mit persönlichen Einkommensteuererstattungen des damaligen Mitgesellschafters und Mitgeschäftsführers H ausgeglichen werden.
Am 16.04.2010 beantragte der Geschäftsführer H beim zuständigen Veranlagungsbezirk der KG die Verrechnung der fälligen Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 mit seiner persönlichen Einkommensteuererstattung. Über diesen Antrag wurde am 18.06.2010 entschieden. Die Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 wurde längstens bis zum 30.09.2010 gestundet.
Am 24.11.2010 stellte der Kläger für die KG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29.11.2010 - Az. ... IN .../10 - die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Im Januar 2011 wurde von Seiten des Insolvenzverwalters Masseunzulänglichkeit angezeigt (vgl. Gutachten des Insolvenzverwalters vom 12.01.2011, Bl.130 der Prozessakte).
Nachdem für den streitigen Zeitraum Januar bis März 2010 und September und Oktober 2010 angemeldete Lohnsteuerabzugsbeträge (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchenlohnsteuer) nicht abgeführt wurden und Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen der KG erfolglos geblieben waren, nahm der Beklagte den Kläger nach Anhörung mit einem auf § 69 in Verbindung mit § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid vom 31.03.2011 in Anspruch. Im Einzelnen handelt es sich um die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge aus Lohnsteueranmeldungen Januar bis März 2010 und die Lohnsteuerabzugsbeträge im Zeitraum September und Oktober 2010 der KG in Höhe von insgesamt 11.308,89 € sowie Säumniszuschläge von insgesamt 1.318,-€, wobei sich die Lohnsteuerabzugsbeträge wie folgt zusammen setzen:
Zeitraum |
Fälligkeit |
Lohnsteuer |
SolZ zur LSt |
ev. KiSt |
r.k. KiSt |
Mrz 10 |
04.05.2010 |
€ |
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€ |
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Jan 10 |
30.09.2010 |
€ |
€ |
€ |
€ |
Feb 10 |
30.09.2010 |
€ |
€ |
€ |
€ |
Sep 10 |
03.11.2010 |
€ |
€ |
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€ |
Okt 10 |
10.11.2010 |
€ |
€ |
€ |
€ |
Summe: |
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10.168,94 € |
467,36 € |
271,34 € |
401,25 € |
Gesamtsumme: |
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11.308,89 € |
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Für die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge und steuerlichen Nebenleistungen im Haftungszeitraum Januar bis März 2010 wurde auch der weitere Geschäftsführer H zur Haftung herangezogen.
Das Finanzamt begründete den Haftungsbescheid im Wesentlichen wie folgt: Die KG habe als Arbeitgeber ihre Pflicht verletzt, die angemeldeten Lohnsteuern zu entrichten. Auch sei sie ihrer Erklärungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die Lohnsteueranmeldungen für Januar bis März 2010 seien verspätet eingereicht worden. Bei Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit gelte die Aufteilung der Geschäftsleitungsbefugnisse unter mehreren Geschäftsführern nicht. Die Lohnzahlung hätte bei unzureichenden vorhandenen Mitteln entsprechend gekürzt werden müssen. Es sei ermessensgerecht, neben dem Geschäftsführer H auch den Kläger in Anspruch zu nehmen.
Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den er im Wesentlichen wie folgt begründete: Die im Haftungsbescheid genannten Fälligkeitstermine fielen alle bis auf die Lohnsteuer März 2010 in den Zeitraum von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags. Geleistete Zahlungen wären daher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 130, 131 der Insolvenzordnung (InsO) anfechtbar gewesen. Ein Geschäftsführer, der es unterlasse, im Vorfeld eines Insolvenzantrags Zahlungen auszuführen, die der späteren Insolvenzmasse zurück zu...