Revision eingelegt (BFH V R 21/13)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgaben nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG sind bei der Bemessung sonstiger Leistungen nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG auch Ausgaben zu berücksichtigen, die zwar nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, für die aber tatsächlich ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen worden ist.
2. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG i. d. F. des EURLUmsG vom 09.12.2004 ab dem 01.07.2004 verstößt nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Rückwirkungsverbot.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; UStG § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 4 Nr. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Bemessungsgrundlage für die Privatnutzung einer Wohnung in einem dem Unternehmen zugeordneten Gebäude.
Die Klägerin ist eine Ehegattengrundstücksgemeinschaft. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks S-Straße Hausnummer in B. Auf diesem Grundstück errichtete sie in den Jahren 2002 und 2003 ein Einfamilienhaus. In dem Haus befinden sich sowohl privat genutzte Wohnräume der Eheleute als auch Büroräume, die von der Klägerin an die Ehefrau für ihre Rechtsanwaltskanzlei steuerpflichtig vermietet werden. Die anteiligen Herstellungskosten für den privat genutzten Gebäudeteil belaufen sich auf insgesamt 316.537,41 € netto.
Die Klägerin ordnete erstmals in ihrer beim Finanzamt am 30.07.2003 eingegangenen Umsatzsteuerjahreserklärung für 2002 das Gebäude in vollem Umfang ihrem Unternehmensvermögen zu. Sie nahm in den Umsatzsteuerjahreserklärungen 2002 und 2003, eingegangen beim Finanzamt am 28.01.2004, bzw. in den Umsatzsteuervoranmeldungen für das erste und zweite Quartal 2003 den gesamten Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes in Anspruch.
Die aus den Baumaßnahmen geltend gemachten Vorsteuerbeträge waren u. a. Gegenstand einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Jahr 2003. Der Abzug der auf den privat genutzten Gebäudeteil entfallenden Vorsteuern wurde von der Umsatzsteuersonderprüfung zunächst versagt (vgl. Prüfungsbericht vom 08.09.2003, Band I der Umsatzsteuerakten, Bl. 6 f), im Rahmen des anschließenden Einspruchsverfahrens dann jedoch gewährt. Die der Klägerin im Jahr 2003 in Rechnung gestellten anteiligen Herstellungskosten für den privat genutzten Wohnraum, für die der Vorsteuerabzug gewährt wurde, beliefen sich auf insgesamt 83.458,64 € netto.
In ihren Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre 2004 bis 2006 erklärte die Klägerin für die Verwendung der privat genutzten Wohnung sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG in Höhe von jeweils 6.324,-€, die sie wie folgt ermittelte:
Herstellungskosten privat genutzter Gebäudeteil |
316.537,41 € |
2 v. H. Jahres-AfA |
6.330,75 € |
monatliche Kosten |
527,56 € |
abgerundet |
527,00 € |
Jahreswert |
6.324,00 € |
Abweichend davon setzte das Finanzamt als Bemessungsgrundlage der privaten Grundstücksverwendung im Umsatzsteuerbescheid für 2004 vom 17.06.2004 einen Betrag von 18.988,-€ sowie in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 2005 und 2006 vom 08.02.2007 und 08.04.2008 einen Betrag von jeweils 31.653,-€ an. Diese Beträge errechnete das Finanzamt wie folgt:
01.01. - 30.06.2004: |
6 x 527,00 € = 3.162,00 € |
|
01.07. - 31.12.2004: |
6 x 2.637,81 € = 5.826,86 € |
18.988,00 € |
01.01. - 31.12.2005: |
12 x 2.637,81 € = |
31.653,00 € |
01.01. - 31.12.2006: |
12 x 2.637,81 € = |
31.653,00 € |
Insoweit berief sich das Finanzamt auf § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG in der Fassung des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes vom 09.12.2004 - EURLUmsG - (BGBl I 2004, 3310) sowie auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.04.2007 - V R 56/04 - (BStBl II 2007, 676) und das hierzu ergangene BMF-Schreiben vom 10.08.2007 (BStBl I 2007, 690), wonach für den Zeitraum ab dem 01.07.2004 die unentgeltliche Wertabgabe im Sinne von § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG mit 10 v. H. der Herstellungskosten anzusetzen ist, mithin im Streitfall mit jährlich 31.653,74 € (= monatlich 2.637,81 €). Die Umsatzsteuer wurde zuletzt für das Jahr 2004 mit ... €, für das Jahr 2005 mit ... € und für das Jahr 2006 mit ... € festgesetzt.
Mit ihren gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006 eingelegten Einsprüchen begehrte die Klägerin eine Berechnung der unentgeltlichen Wertabgabe mit 2 v. H. der auf den privat genutzten Teil des Gebäudes entfallenden Herstellungskosten. Sie war der Ansicht, dass eine Anwendung von § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG i. d. F. des EURLUmsG mit Wirkung vom 01.07.2004 im Streitfall nicht möglich sei, weil die Vorschrift gegen Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der 6. EG-Richtlinie und darüber hinaus - insbesondere im Streitjahr 2004 - auch gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verstoße. Für die Jahre ab 2005 folge die Verfassungswidrigkeit der Norm daraus, dass die Klägerin ihre Investitions- und Finanzierungsentscheidung im schutzwürdigen Vertrauen auf das Fortbestehen der seinerzeit geltenden Besteuerung der unentgeltl...