Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide auf Grund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Leitsatz (redaktionell)
Eine Verwaltungsbehörde ist nach dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit nur bei "besonderen Umständen" zur Überprüfung und gegebenenfalls Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts verpflichtet. Eine solche Pflicht besteht, wenn die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, ihre Entscheidung zurückzunehmen. Zudem muss die Verwaltungsentscheidung infolge eines Urteils letzter Instanz bestandskräftig geworden sein ("Ausschöpfung des Rechtswegs"). Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Urteil auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, weil sich das Gericht nicht an den Europäischen Gerichtshof gewandt hat.
Normenkette
AO § 37 Abs. 2, §§ 172, 227; AEUV § 267
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob bestandskräftige Einkommensteuerbescheide auf Grund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schulgeldzahlungen beim Besuch ausländischer Privatschulen zu ändern sind.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1999 machten sie jeweils Schuldgeldzahlungen für ihren Sohn zum Besuch einer Privatschule in Großbritannien als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte ließ die Aufwendungen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen nicht zum Sonderausgabenabzug zu. Die nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1992 erhobene Klage wies das Finanzgericht Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 17. März 1995 (3 K 1046/94) mit der Begründung ab, Schulgeldzahlungen an Schulen im Ausland seien nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Einkommensteuergesetz -EStG- abziehbar. Die hiergegen gerichtete Revision wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 11. Juni 1997 (X R 74/95, BStBl II 1997, 617) zurück.
Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs wies das Finanzgericht Rheinland-Pfalz durch Urteile vom 24. Juni 1998 (5 K 2755/97) und 5. Juli 2000 (1 K 2074/99) die von den Klägern hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1993 bis 1997 erhobenen Klagen ebenfalls ab. Die gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Juli 2000 erhobene Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision verwarf der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 11. März 2002 (XI B 125/00) als unzulässig. Die gleichfalls eingelegten Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1998 und 1999 nahmen die Kläger im Jahr 2004 zurück.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2007 beantragten die Kläger, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 dahingehend zu ändern, dass die geleisteten Schulgeldzahlungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. September 2007 (Rs. C-76/05 -Schwarz und Gootjes-Schwarz-, DStR 2007, 1670) verstoße die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gegen Art. 49 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -EG-, wenn Schuldgeldzahlungen beim Besuch ausländischer Privatschulden nicht als Sonderausgaben berücksichtigt würden. Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs liege ein Sachverhalt zu Grunde, der mit dem vorliegenden Fall übereinstimme. In beiden Fällen seien Privatschulen in Großbritannien besucht worden, die sich im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanzierten. Der Antrag werde auf § 177 Abgabenordnung -AO- sowie die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze über die Änderung rechtswidriger Verwaltungsakten gestützt. Nachdem das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz bezüglich der Veranlagungszeiträume 1994 bis 1997 rechtskräftig geworden sei, hätten sie auf Anfrage des Beklagten die Rechtsbehelfe gegen die noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für 1998 und 1999 zurückgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sei ihnen nicht bekannt gewesen, dass von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft wegen der Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet gewesen sei, das vom Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 11. September 2007 (Rs. C-318/05, DStRE 2007, 1300) zu Lasten der Bundesrepublik entschieden worden sei.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Meilicke (DStR 2007, 1892) seien die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 zu korrigieren. Der Beklagte sei unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Januar 2004 (Rs. C-453/00 -Kühne und Heitz-, HFR 2004, 488) verpflichtet, die Einkommensteuerbescheide zu ändern. Nach den Rechtsausführungen des Generalanwalts könne eine Korrektur der Steuerbescheide auch dann erfolgen, wenn auf Grund anderweitig gefestigter Rechtsprechung der letztinstanzlichen Gerichte von der Durchführung eines Rechtsmittels abgesehen worden sei. Sie seien zur Rücknahme der ...