Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VII B 23/19)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Unzulässigkeit einer Aufrechnung mit einem umsatzsteuerlichen Erstattungsanspruch aufgrund § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus offenen Forderungen des Unternehmens aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung wegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO

 

Leitsatz (amtlich)

Die offenen Forderungen des Unternehmens zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung sind umsatzsteuerlich rechtlich uneinbringlich geworden und die Umsatzsteuer ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen. Dieser Erstattungsanspruch entsteht in der juristischen Sekunde vor der Insolvenzeröffnung, so dass eine Aufrechnung damit unabhängig von dem Zeitpunkt der korrigierten Festsetzung zulässig ist.

 

Normenkette

UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 95 Abs. 1, § 96 Abs. 1; AO § 37 Abs. 2, § 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1; BGB § 387

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.06.2022; Aktenzeichen XI R 46/20)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Befugnis der Beklagten zur Aufrechnung mit einem Umsatzsteuererstattungsanspruch im Rahmen eines laufenden Insolvenzverfahrens.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X GmbH (im Folgenden: X). Das Amtsgericht eröffnete über ihr Vermögen am 1. September 2010 unter dem Az. … IN …/10 das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Seit der Insolvenzeröffnung wird die X unter der Steuernummer …4 durch das Finanzamt veranlagt. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde sie unter der Steuernummer …7 geführt. X berechnete die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten.

Das Finanzamt meldete offene Forderungen aus der Umsatzsteuer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbestritten zur Tabelle an. Für August 2010 nahm der Kläger für X Umsatzsteuerberichtigungen hinsichtlich offener Eingangsrechnungen der X vor. Eine Berichtigung hinsichtlich der offenen Forderungen aus Ausgangsrechnungen der X erfolgte zu diesem Zeitpunkt nicht.

Mit der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2013 meldete der Kläger eine Umsatzsteuerberichtigung in Höhe von 176.737,67 € netto an, die sich aus offenen Beträgen vorinsolvenzrechtlicher Forderungen wegen Zahlungsunfähigkeit der jeweiligen Schuldner zusammensetzte (uneinbringlich gewordene Forderungen). Im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung für das Jahr 2013 im Februar 2015 stellte das Finanzamt die Höhe der nicht realisierten Forderungen aus der Zeit vor der Insolvenz in Höhe von 173.108,33 € netto fest. Der Betrag ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Diese ordnete das Finanzamt dem vorinsolvenzrechtlichen Bereich zu. Diese Forderungen blieben in dem Umsatzsteuerbescheid für 2013 vom 9. April 2015 unberücksichtigt. Nach Einspruch des Klägers unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juli 2012, VII R 29/11 wurde mit Änderungsbescheid vom 28. Juni 2017 unter Berücksichtigung der uneinbringlichen Forderungen ein Umsatzsteuererstattungsanspruch für das Jahr 2013 in Höhe von 32.890,52 € zuzüglich Zinsen unter der Masse-Steuernummer …4 festgesetzt.

Den Erstattungsanspruch zur Umsatzsteuer aus diesen ausgefallenen Forderungen sowie die zugehörigen Erstattungszinsen darauf ab April 2015 rechnete die Beklagte mit rückständiger Umsatzsteuer der X für Mai 2010 bei der Steuernummer …7 auf und teilte dem Kläger dies mit Umbuchungsmitteilung vom 28. Juni 2017 mit.

Der Kläger widersprach der Aufrechnung, dieser stehe § 96 Insolvenzordnung (InsO) entgegen. Er verweise auch dazu auf das Urteil des BFH vom 25. Juli 2012, VII R 29/11, das einer Aufrechnung in dieser Konstellation für Insolvenzverfahren, die vor dem 1. Januar 2012 eröffnet worden seien, entgegenstehe. Sie verstoße gegen das Aufrechnungsverbot in der Insolvenz.

Hinsichtlich der zunächst ebenfalls zur Aufrechnung gebrachten Erstattungszinsen ab April 2015 machte die Beklagte die Umbuchung rückgängig und zahlte diese an den Kläger aus.

Am 13. Juli 2017 erließ die Beklagte im Übrigen einen Abrechnungsbescheid. Die Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch sei rechtmäßig erfolgt, dies stütze sie im Wesentlichen auf das Urteil des BFH vom 9. Dezember 2010, V R 22/10. Der Ausschluss der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO greife, wenn die Aufrechnungslage zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht bestanden habe. Voraussetzung sei daher, dass die Hauptforderung, der steuerliche Erstattungsanspruch, vor der Verfahrenseröffnung bereits entstanden gewesen sei, also sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen seien. Das Unternehmen selbst habe durch den Übergang der Empfangszuständigkeit auf den Insolvenzverwalter keine der offenen Forderungen noch rechtswirksam als Entgeltforderungen in dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil vereinnahmen können. Der Steuerbetrag für Leistungen, die das Unternehmen vor Insolvenzeröffnung erbracht, aber das hierfür geschuldete Entgelt noch nicht bis zu diesem Zeitpunkt vereinnahm...

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