Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen bei Steuerhinterziehung im Drittstaat
Leitsatz (amtlich)
Die für innergemeinschaftliche Lieferungen geltenden Grundsätze zur Versagung der Steuerbefreiung, wenn der Lieferer bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder der Verkäufer wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern, sind nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 1a, § 6; MwStSystRL Art. 131
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht in Streit, ob dem Kläger im Streitjahr (2010) die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen nach §§ 4 Nr. 1a, 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) wegen einer - von dem Beklagten geltend gemachten - Beteiligung des Klägers an einer Steuerhinterziehung in der Türkei zu versagen ist.
Der Kläger ist Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der … International GmbH (GmbH). Die GmbH war im Streitjahr in das Einzelunternehmen des Klägers, dessen Geschäftszweck in dem Export von hochpreisigen Kraftfahrzeugen in die EU und die Türkei bestand, im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft als Organgesellschaft eingegliedert.
Die GmbH, die ebenfalls mit dem Handel mit Kraftfahrzeugen unternehmerisch tätig war, veräußerte im Streitjahr insgesamt 37 Fahrzeuge an Käufer mit Sitz in der Türkei; die Fahrzeuge wurden anschließend in die Türkei verbracht. Die einzelnen Fahrzeugverkäufe rechnete die GmbH jeweils mit zwei getrennten Rechnungen - eine Rechnung über den Fahrzeugverkauf und eine weitere als "Restzahlung" bezeichnete Rechnung - ab. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die exemplarisch zu den Akten gereichten Rechnungen der GmbH vom 8. Februar 2010 und vom 20. Februar 2010 sowie die Rechnungen mit den laufenden Nr. 1 bis 32. Hierfür stellte die GmbH insgesamt 1.971.045 € in Rechnung, wovon 1.455.780 € auf die Rechnungen über den Fahrzeugverkauf und 515.265 € auf die als "Restzahlung" bezeichneten Rechnungen entfielen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 4 zum Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 19. Dezember 2014.
Die in den Rechnungen über den Fahrzeugverkauf enthaltenen Beträge wurden als Erlöse aus steuerfreien Ausfuhrlieferungen i.S. der §§ 4 Nr. 1a, 6 UStG verbucht, die in den als "Restzahlung" bezeichneten Rechnungen enthaltenen Beträge als Erlöse aus der Vermittlung von steuerfreien Ausfuhrlieferungen i.S. des § 4 Nr. 5 Buchst. a UStG.
In seiner - auch die Umsätze und Vorsteuern der GmbH als Organgesellschaft umfassenden - Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr, welcher das Finanzamt zustimmte, erklärte der Kläger u.a. steuerfreie Ausfuhrlieferungen i.S. der §§ 4 Nr. 1a, 6 UStG in Höhe von 2.453.715 €. Daneben erklärte er weitere steuerfreie Umsätze mit Vorsteuerabzug in Höhe von 963.707 €.
Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung für den Zeitraum 2008 bis 2010 vertraten die Prüfer in ihrem Bericht vom 19. Dezember 2014 die Auffassung, dass die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen in die Türkei in den Fällen zu versagen sei, bei denen der Gesamtverkaufspreis auf zwei Rechnungen (Rechnungssplitting auf Verkaufs- und Provisionsrechnung) verteilt worden sei. Zwar stünden die fehlerhaften bzw. fehlenden Buch- und Belegnachweise einer Umsatzsteuerbefreiung nicht entgegen. Jedoch könne ein Unternehmer die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen, wenn er sich aktiv an einem Betrugsmodell beteilige oder wenn er wusste bzw. bei Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte wissen müssen, dass er sich an einem Betrugsmodell beteilige (Betrugsanhaftung). Die Rechtsprechung zur Versagung der Umsatzsteuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen mit Betrugsanhaftung sei in Fällen der Bösgläubigkeit des Lieferanten auch auf Ausfuhrlieferungen anzuwenden.
Der inländische Steuerpflichtige täusche mittels der gesplitteten Rechnungen über den tatsächlichen Warenwert. Dadurch werde den einzelnen Abnehmern ermöglicht, in der Türkei Einfuhrabgaben, die besondere Verbrauchsteuer (Özel Türketim Vergisi - ÖTV) und nachfolgend auch die Mehrwertsteuer beim Weiterverkauf zu verkürzen. Die besondere Verbrauchsteuer werde erst bei Zulassung für den Straßenverkehr und damit in der Regel beim Verkauf an den Endabnehmer erhoben. Zudem seien zum Teil unrichtige Angaben über das Alter der Fahrzeuge, den Kilometerstand bzw. über den Hubraum gemacht worden. Hintergrund sei, dass in die Türkei grundsätzlich keine gebrauchten Kraftfahrzeuge importiert werden dürften. Dies sei ausnahmsweise mit Genehmigung möglich. Dann falle jedoch eine höhere besondere Verbrauchsteuer an. Die Manip...