3.1 Zweck der Vorschrift
Rz. 50
§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG regelt im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG keinen (Erwerbs-)Vorgang im eigentlichen Sinn, sondern unterwirft das Vermögen bestimmter Stiftungen und Vereine als solches in regelmäßigen Abständen von 30 Jahren der Steuerpflicht. Hintergrund der Regelung zur sog. Ersatzerbschaftsteuer (auch Erbersatzsteuer genannt) ist, dass das Vermögen einer Familienstiftung oder eines Familienvereins in der Stiftung oder dem Verein gebunden ist und damit in der Generationenfolge nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen keinem Rechtsträgerwechsel unterliegt. Mit der Besteuerung des Stiftungs- bzw. Vereinsvermögens mit der Ersatzerbschaftsteuer im Turnus von 30 Jahren fingiert § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG letztlich eine Erbschaftsbesteuerung in einem regelmäßigen Generationenwechsel. Diese typisierende Besteuerung ist verfassungskonform, da sie einer (annähernden) Gleichstellung der Besteuerung von Familienstiftungen und Familienvereinen mit der natürlicher Personen dient. Die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG wird im Hinblick auf die übrigen Erwerbe von Todes wegen i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bzw. Schenkungen unter Lebenden i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als systemwidrig kritisiert.
Rz. 51–59
einstweilen frei
3.2 Begriff der Familienstiftung
Rz. 60
Eine rechtsfähige Stiftung i. S. d. §§ 80 ff. BGB ist in bürgerlich-rechtlicher Hinsicht eine rechtsfähige Organisation (Verwaltung), die keine Mitglieder hat und bestimmte, durch den Stiftungsakt festgelegte Zwecke mithilfe eines Vermögens verfolgt, das diesen Zwecken dauerhaft gewidmet ist. Destinatäre, die nach dem Stiftungszweck begünstigt sind, haben keine mitgliedschaftliche Rechtsposition, sondern sind als Bezugs- oder Anfallsberechtigte lediglich Nutznießer des Stiftungsvermögens. Unselbstständige Stiftungen verfügen demgegenüber zwar über ein dem Stiftungszweck gewidmetes Vermögen, haben aber keine eigene Rechtspersönlichkeit. Der Tod des Stifters bzw. der Destinatäre hat keine Auswirkungen auf den Bestand der rechtsfähigen Stiftung. Aus diesem Grunde eignet sich die Stiftung als Instrument der Vermögens- und Unternehmensnachfolge, da der Stifter mit der Errichtung einer Familienstiftung – im Gegensatz zu einer bloßen Testamentsvollstreckung – die Nachfolge und den Bestand des Vermögens bzw. Unternehmens über mehrere Generationen regeln und sichern kann.
Rz. 61
§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG erfasst das Vermögen einer Stiftung, sofern sie wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist. Der Begriff der Familienstiftung wird mit dieser Formulierung nicht exakt definiert, sondern mit dem Kriterium des wesentlichen Familieninteresses vielmehr lediglich umschrieben. Der konkrete Bedeutungsgehalt kann über quantitative oder qualitative Merkmale erschlossen werden. Nach Ansicht des BFH bestimmt sich der Begriff der Familienstiftung i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in erster Linie nach qualitativen Kriterien: Ob eine Stiftung als Familienstiftung anzusehen ist, ist anhand des vom Stifter verfolgten Zwecks der Stiftung zu beurteilen, wie er ihn objektiv erkennbar in der Satzung zum Ausdruck gebracht hat; die Bezeichnung durch den Stifter sowie die Einschätzung der Stiftungsaufsicht sind für die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung unerheblich. Eine Stiftung dient wesentlich dem Interesse einer Familie oder bestimmter Familien, wenn nach der Satzung und ggf. dem Stiftungsgeschäft ihr Wesen darin besteht, es den Familien zu ermöglichen, das Stiftungsvermögen, soweit es einer Nutzung zu privaten Zwecken zugänglich ist, zu nutzen und die Stiftungserträge an sich zu ziehen; inwieweit davon tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ist nicht entscheidend. Der Begriff Vermögensinteresse der Familie ist nach Ansicht des BFH weit zu fassen, da hierzu nicht nur Bezugs- und Anfallsrechte gehören, sondern auch alle unmittelbaren oder mittelbaren, nicht notwendig in Geld bezifferbaren Vermögensvorteile, die die begünstigte Familie aus dem Stiftungsvermögen zieht.
Rz. 62
Nach Ansicht der FinVerw liegt nach quantitativen Kriterien eine Familienstiftung i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG vor, wenn unter Rückgriff auf § 15 Abs. 2 AStG nach der Satzung der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als 50 % bezugs- und anfallsberechtigt sind. Eine Familienstiftung lieg...