Rz. 110
§ 10 Abs. 5 ErbStG regelt den Abzug der als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähigen Schulden und Lasten; die Vorschrift dient der Verwirklichung des erbschaftsteuerlichen Bereicherungsprinzips. Zu berücksichtigen sind Begrenzungen der Abzugsfähigkeit aufgrund § 10 Abs. 6–9 ErbStG; weitere Abzugsverbote folgen aus § 21 ErbStG und – für aufschiebend bedingte Lasten – aus § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. § 6 BewG.
6.1 Allgemeines
Rz. 111
Der in § 10 Abs. 5 ErbStG verwendete Begriff der "Nachlassverbindlichkeiten" entspricht der Ausdrucksweise des § 1967 BGB. Bürgerlich-rechtlich gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten zum einen die sog. Erblasserschulden und ferner die sog. Erbfallschulden. Hierbei ist zivilrechtlich zwischen den unmittelbaren Erbfallschulden und den erst nach dem Erbfall entstehenden – ebenfalls den Erben als solchen treffenden – sog. Nachlasskosten- und Erbschaftsverwaltungsschulden (z. B. Beerdigungs- oder Testamentsvollstreckerkosten) zu unterscheiden.
Rz. 112
In Anknüpfung an diese zivilrechtlich durch § 1967 BGB vorgegebene Differenzierung ist die Abzugsfähigkeit der Erblasserschulden in § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, von Erbfallschulden in § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG und von Nachlasskosten- und Erbschaftsverwaltungsschulden in § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG geregelt. Zur Anwendung des § 10 Abs. 5 ErbStG auf Schenkungen vgl. Rz. 223.
Rz. 113
Ungeachtet der ersichtlichen Anknüpfung des § 10 Abs. 5 ErbStG an § 1967 Abs. 2 BGB besteht bezüglich der Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten keine starre Bindung des ErbStG an das Zivilrecht. Der Begriff der Nachlassverbindlichkeiten ist zwar zivilrechtlich geprägt und auch im erbschaftsteuerlichen Zusammenhang zunächst an den Maßstäben des Bürgerlichen Rechts auszurichten. Bezugspunkt der Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten ist jedoch letztlich die Bereicherung des Erwerbers gem. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG. In diesem erbschaftsteuerlichen Zusammenhang kann jedoch unter näheren Umständen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht gänzlich ausgeschlossen sein; dies ist auch seit jeher – dazu nachfolgend – der Standpunkt der Rspr.
Rz. 114
Grundsätzlich begründet jede Verpflichtung des Erblassers, die am Todestag schon bestanden hat und bis dahin auch noch nicht getilgt war, eine abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit. Aus dem Begriff "herrühren", der sich erkennbar an § 1967 Abs. 2 BGB anlehnt, folgt aber, dass die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein müssen. Auch erst in der Person des Erben entstandene Verbindlichkeiten rühren vom Erblasser her, wenn sie schon dem Erblasser erwachsen wären, wäre er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren Voraussetzungen verstorben. Auszugehen ist insoweit vom Bürgerlichen Recht. Es erscheint daher zutreffend, wenn die Rspr. im Zusammenhang mit der Abziehbarkeit von Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 ErbStG aus einem Darlehensvertrag unter Angehörigen eine Anwendung der einkommensteuerrechtlichen Grundsätze über den sog. Fremdvergleich ausschließt. Unter dem Gesichtspunkt der Bereicherung kann einem Abzug von Nachlassverbindlichkeiten jedoch entgegenstehen, dass die Verbindlichkeit – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – für den Erwerber keine wirtschaftliche Last beinhaltet. Auf diesen Gesichtspunkt stellt auch die Rspr. ab und verneint die Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten, wenn es tatsächlich und wirtschaftlich an einer Belastung des Erwerbers fehlt, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht geltend machen wird. Nicht ohne Weiteres erschließt sich daher, weshalb die Geltendmachung eines Pflichtteils nach Tod des Verpflichteten durch dessen Alleinerben unabhängig davon erbschaftsteuerlich zu berücksichtigen sein soll, ob der Verpflichtete damit rechnen musste, den Anspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen. Bei lebensnaher Betrachtung unterbleibt nämlich die Geltendmachung in solchen Fällen in den meisten Fällen in dem Bewusstsein eines endgültigen Verzichts, sei es aus einem Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem überlebenden Elternteil, sei es aus Sorge vor nachfolgender Sanktionierung.
Rz. 115
Umgekehrt wird in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähige wirtschaftliche Belastung des Erblassers auch dann angenommen, wenn es an einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung fehlt. So können vom Erben erbrachte Unterhaltsleistungen zum Abzug berechtigen, zu denen er sich aus zwingenden Gründen (z. B. moralischer Art) für verpflichtet hält. Steht dem nichtehelichen Lebenspartner bei Tod des Erblassers (ausnahmsweise) ein Ausgleichsanspruch nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu, sind die Zahlungen der Erben als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen.
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