4.7.1 Überblick
Rz. 320
Die §§ 199–203 BewG regeln eine vom Gesetz als vereinfachtes Ertragswertverfahren bezeichnete Methode zur Ermittlung des gemeinen Werts nicht börsennotierter Anteile an Kapitalvermögen sowie von (Anteilen an) Betriebsvermögen.
Nach dem Regierungsentwurf des ErbStRG sollten diese Regelungen nicht unmittelbar im Gesetz, sondern durch eine Rechtsverordnung getroffen werden. Im Februar 2008 legte das BMF einen Entwurf (Diskussionsentwurf für eine Anteils- und Betriebsvermögensbewertungsverordnung – AntBVBewV –) vor, der in der Literatur Gegenstand einer lebhaften Diskussion war. Auf Empfehlung des Finanzausschusses (BT-Drs. 16/11075) wurden die Regelungen zum vereinfachten Ertragswertverfahren in den neu eingefügten Unterabschnitt D des 6. Abschnitts des BewG übernommen. Inhaltlich blieben die Vorschriften im Wesentlichen unverändert. Die Regelungen zur Bewertung eines Anteils am Betriebsvermögen einer Personengesellschaft – d. h. zur Aufteilung des für die Gesellschaft als Ganzes ermittelten Werts auf die Anteile der einzelnen Gesellschafter –, die § 6 AntBVBewV für den Anwendungsbereich des vereinfachten Ertragswertverfahrens vorsah, wurden in den für alle Wertermittlungsmethoden geltenden § 97 Abs. 1a BewG übernommen und um eine Regelung für Anteile an Kapitalgesellschaften ergänzt.
Das vereinfachte Ertragswertverfahren dient dazu, eine einheitliche Rechtsanwendung bei gleichen Sachverhalten sicherzustellen und die Bewertung von nicht notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Betriebsvermögen zu erleichtern. Es soll die Möglichkeit bieten, ohne hohen Ermittlungsaufwand oder Kosten für einen Gutachter einen objektivierten Unternehmens- bzw. Anteilswert auf der Grundlage der Ertragsaussichten nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG zu ermitteln (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/11107, 26). Inhaltlich lehnt es sich an schon seit längerer Zeit geltende Verwaltungsregelungen zur Bewertung von (Anteilen an) Kapitalgesellschaften für ertragsteuerliche Zwecke an.
4.7.2 Voraussetzungen für die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens (§ 199 BewG)
Rz. 321
Nach § 199 Abs. 1 und 2 BewG kommt die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens in Betracht, wenn entweder der gemeine Wert von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder der gemeine Wert des Betriebsvermögens oder eines Anteils am Betriebsvermögen nach § 109 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 11 Abs. 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten des Gewerbebetriebs oder der Gesellschaft zu ermitteln ist.
Soweit es sich um die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapital- oder Personengesellschaften handelt, führt seine Anwendung allerdings nicht zur Ermittlung des gemeinen Werts des Anteils, sondern des gemeinen Werts der Gesellschaft, aus dem der Wert des Anteils nach § 97 Abs. 1a und 1b BewG abgeleitet werden muss.
4.7.2.1 Ertragswertverfahren als maßgebliche Bewertungsmethode
Rz. 322
Die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ist davon abhängig, dass der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten zu ermitteln ist. Dies setzt voraus, dass
- zu bewertende Anteile an Aktiengesellschaften und an Kommanditgesellschaften auf Aktien nicht an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, weil sie in diesem Fall zwingend mit dem Börsenkurs zu bewerten wären,
- sich der gemeine Wert der Anteile bzw. des Betriebsvermögens nicht nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG aus Verkaufspreisen des letzten Jahres ableiten lässt,
- die Anwendung ertragswertorientierter Verfahren nicht branchentypisch ausgeschlossen ist, z. B. weil Multiplikatorenverfahren oder Substanzwertverfahren zur Anwendung kommen,
- der nach den Vorschriften der §§ 199–203 BewG ermittelte Wert den nach § 11 Abs. 2 S. 3 BewG als Mindestwert anzusetzenden Substanzwert nicht unterschreitet.
Nach § 1 Abs. 3 AntBVBewV sollte das vereinfachte Ertragswertverfahren auf Großbetriebe keine Anwendung finden. Dies wurde damit begründet, dass diese regelmäßig über Finanzplan- oder andere Daten verfügten, die eine Unternehmensbewertung in einem anerkannten Ertragswertverfahren zuließen. § 199 BewG hat auf diese Einschränkung verzichtet. Angesichts der vorgesehenen Grenzziehung bei einem Umsatz von 32 Mio. EUR wären ohnehin bundesweit allenfalls 300 Fälle pro Jahr von dieser Ausnahme betroffen gewesen.