Rz. 334
Ebenso wie bei betriebswirtschaftlichen Ertragswertverfahren soll der Unternehmenswert auch nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren zukunftsbezogen ermittelt werden. Grundlage der Bewertung bildet deshalb nach § 201 Abs. 1 S. 1 BewG der voraussichtlich zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag. In Ermangelung entsprechender Finanzplandaten kann dieser jedoch nur anhand des in der Vergangenheit erzielten Durchschnittsertrags geschätzt werden.
§ 201 Abs. 1 S. 2 BewG spricht allerdings nur davon, dass der in der Vergangenheit erzielte Durchschnittsertrag eine Beurteilungsgrundlage für die Schätzung des künftigen Jahresertrags bilde. Dies hat schon vor Inkrafttreten der ErbStRG zu der Erwägung Anlass gegeben, dass möglicherweise auch andere Schätzungsgrundlagen herangezogen werden könnten. Die FinVerw hat sich dieser Auffassung in R B 201 Abs. 5 ErbStR 2019 angeschlossen. Sofern zum Bewertungsstichtag feststehe, dass sich der künftige Jahresertrag durch bekannte objektive Umstände, z. B. wegen des Todes des Unternehmers, verändere, müsse dies bei der Ermittlung des Durchschnittsertrags entsprechend berücksichtigt werden.
In der Lit. ist daran sogleich die Frage geknüpft worden, ob auch Umstände, die nicht in dem Unternehmen, sondern in der allgemeinen Wirtschaftslage begründet sind, eine Abweichung von den Vergangenheitsergebnissen rechtfertigen könnten.
U.E. sind diese Überlegungen bereits im Ansatz verfehlt, weil die §§ 199–203 BewG ein anderes Schätzungsverfahren als das auf der Grundlage der Vergangenheitserträge überhaupt nicht bereitstellen. Sofern die Vergangenheitserträge aufgrund besonderer Umstände keine brauchbare Grundlage für die Schätzung des zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrags bilden, muss die Bewertung nach einem anderen als dem vereinfachten Ertragswertverfahren erfolgen.
Wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die zukünftig nachhaltig erzielbaren Gewinne niedriger als die nach § 201 Abs. 1 S. 2 BewG maßgeblichen Vergangenheitswerte sind, sollte eine individuelle Unternehmensbewertung in Betracht gezogen werden. Derartige Anhaltspunkte können sich nicht nur aus im langfristigen Vergleich überdurchschnittlich hohen Erträgen (z. B. wegen einer allgemein guten Konjunkturlage), sondern auch aus unterdurchschnittlichen Aufwendungen (z. B. wegen eines Investitionsstaus) ergeben. Betriebe, die im Referenzzeitraum nicht investiert haben, weisen wegen der unterbliebenen Abschreibungen einen zu hohen Gewinn aus und werden durch das vereinfachte Ertragswertverfahren überbewertet.
4.7.4.1 Herleitung des Jahresertrags aus dem regelmäßigen Ermittlungszeitraum
Rz. 335
Der für die Schätzung des künftigen Jahresertrags maßgebliche Durchschnittsertrag ist nach § 201 Abs. 2 S. 1 BewG möglichst aus den Betriebsergebnissen der letzten 3 vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre herzuleiten. Anstelle des drittletzten abgelaufenen Wirtschaftsjahres ist nach § 201 Abs. 2 S. 2 BewG das gesamte Betriebsergebnis eines am Bewertungsstichtag noch nicht abgelaufenen Wirtschaftsjahres einzubeziehen, wenn es für die Herleitung des künftig zu erzielenden Jahresertrags von Bedeutung ist. Darin liegt eine Abweichung von dem bis zum Inkrafttreten des ErbStRG aufgrund von R 99 Abs. 1 S. 3 ErbStR 2003 geltenden Rechtszustand, wonach das Betriebsergebnis des zum Bewertungsstichtag laufenden Wirtschaftsjahres bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes nicht einmal anteilig berücksichtigt werden konnte. Die Einbeziehung des gesamten Betriebsergebnisses des laufenden Wirtschaftsjahres hat zwar zur Folge, dass auch erst nach dem Bewertungsstichtag eintretende Umstände in die Ermittlung des Durchschnittsertrags einfließen. Ein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip des § 11 ErbStG kann darin aber nicht gesehen werden, weil die nachträglich eintretenden Umstände lediglich als Erkenntnishilfsmittel zur Bestimmung des nach den Verhältnissen des Stichtags zu erwartenden Jahresertrags dienen und dieser ohnehin eine zukunftsbezogene Größe darstellt.
Rz. 336
Nähere Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen das laufende Wirtschaftsjahr für die Herleitung des künftig zu erzielenden Jahresertrags von Bedeutung ist, gibt § 201 Abs. 2 BewG nicht. In dem Bericht des Finanzausschusses (BT-Drs. 16/11107, 27) heißt es, das laufende Wirtschaftsjahr sei einzubeziehen, wenn sich nach den Umständen des Einzelfalls abzeichne, dass die Ertragsentwicklung dieses Jahres für die Prognose des Zukunftsertrags bedeutsam sei. Die – vollständige – Berücksichtigung des noch nicht abgeschlossenen Wirtschaftsjahres liegt umso näher, je größer der zum Bewertungsstichtag bereits abgelaufene Teil des Gewinnermittlungszeitraums ist. Daneben kann der Umstand von Bedeutung sein, wie stark das Ergebnis des laufenden von dem des drittletzten Wirtschaftsjahres abweicht und ob diese Abweichung als Ausdruck einer den gesamten Referenzzeitraum bestimmenden Entwicklung angesehen...