12.1.1 Überblick
Rz. 562
Im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2016 wurde erstmals ein "Vorab-Abschlag" für qualifizierte Familienunternehmen in das ErbStG eingefügt.
Rz. 563
Danach wird für den Erwerb von begünstigtem Vermögen (§ 13b Abs. 2 ErbStG) ein Abschlag von bis zu 30 % gewährt, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmte Beschränkungen enthält. Der Abschlag erfolgt vor Anwendung des Verschonungsabschlags von 85 % bzw. 100 % und wird daher vielfach als "Vorab-Abschlag" bezeichnet. Voraussetzung für die Gewährung des Abschlags ist, dass der Gesellschaftsvertrag (kumulativ) die Entnahme- bzw. Ausschüttungen von Gewinnen, die Verfügung über die Gesellschaftsanteile und die Abfindung von ausscheidenden Gesellschaftern beschränkt. Diese Beschränkungen müssen rechtlich wirksam vereinbart werden und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Die Beschränkungen müssen mindestens 2 Jahre vor der Entstehung der Steuer und 20 Jahre danach bestehen. Für die Höhe des Abschlags kommt es allein auf die Beschränkung der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters im Verhältnis zum gemeinen Wert des Anteils an. Der Abschlag ist auf höchstens 30 % beschränkt.
12.1.2 Entstehungsgeschichte
Rz. 564
Bis zum 30.6.2016 bestanden keine besonderen Bewertungs- und/oder Verschonungsvorschriften für Familienunternehmen. Das BVerfG hat die Einführung solcher Regelungen nicht verlangt.
Rz. 565
Die allgemeine Bestimmung des Bewertungsgesetzes, wonach Verfügungsbeschränkungen bei der Ermittlung des gemeinen Werts nicht zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 BewG), erweist sich gerade bei Familienunternehmen als problematisch. In den Gesellschaftsverträgen vieler Familienunternehmen wird die Möglichkeit der freien Verfügung über die Gesellschaftsanteile regelmäßig (mehr oder weniger stark) eingeschränkt. Der einzelne Gesellschafter kann somit den Wert seines Anteils durch einen Verkauf nicht bzw. nur sehr eingeschränkt realisieren. Diese verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit wird bei der Bewertung aber nicht berücksichtigt.
Rz. 566
Der Regierungsentwurf vom September 2015 (BT-Drs. 18/5923) sah keine Änderung der allgemeinen Bewertungsvorschriften vor (insb. nicht von § 9 BewG). Gleichwohl hat die Bundesregierung versucht, den Anliegen der Familienunternehmen in gewisser Weise Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, die allgemeine Grenze für Großerwerbe ("Prüfschwelle") von 26 Mio. EUR auf 52 Mio. EUR zu verdoppeln, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmte Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen enthält. Diese Zielsetzung wurde grundsätzlich begrüßt, nicht aber die geplante Umsetzung. Die vorgeschlagene Regelung wurde allgemein als zu unbestimmt, nicht praktikabel und nicht verfassungsgemäß kritisiert. Die Voraussetzungen waren zudem in der Praxis kaum zu erfüllen. Die Verdopplung der Prüfschwelle sollte zudem davon abhängig sein, dass die Beschränkungen bereits 10 Jahre vor und 30 Jahre nach der Entstehung der Steuer gelten.
Rz. 567
Die Neuregelung wurde in dem Regierungsentwurf u. a. wie folgt begründet (BT-Drs. 18/5923, S. 24):
Zitat
Familiengeführte Unternehmen weisen innerhalb der deutschen Unternehmensstruktur regelmäßig die Besonderheit auf, dass eine vergleichsweise starke Kapitalbindung der Gesellschafter in den Unternehmen erfolgt. Dies führt auch zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Unternehmen vom Kapitalmarkt. Insgesamt ist die Eigenkapitalquote von Familienunternehmen tendenziell höher, was zu einer größeren Stabilität dieser Unternehmen in Krisenzeiten beiträgt. Bei eigentümergeführten Unternehmen hat der Gesellschafterkreis somit typischerweise eine wichtige Funktion als Kapitalgeber im Rahmen der Innenfinanzierung und ist wirtschaftlicher Ankerpunkt für die nachhaltige Unternehmensfortführung und zu Sicherung von Beschäftigung. Dies ist aus internationaler Sicht für größeres Unternehmen unüblich und zeichnet die deutsche Unternehmenskultur aus.
Die Unternehmensführung bei solchen Unternehmen ist typischerweise auf die langfristige Sicherung und Fortführung des Unternehmens ausgerichtet. Dies schließt häufig einen freien Handel der Gesellschaftsanteile aus. Vor allem in großen familiengeführten Unternehmen sind gesellschaftsvertragliche Bestimmungen vorzufinden, wie Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen. Durch die gesellschaftvertraglichen Beschränkungen erhöht sich das Verschonungsbedürfnis der Erwerber begünstigungsfähigen Vermögens, dem durch eine pauschal höhere Prüfschwelle von 52 Millionen Euro Rechnung getragen wird. Die pauschale Erhöhung bei kumulativem Vorliegen von Entnahme-, Abfindungs- und Verfügungsbeschränkungen soll dem erhöhten Bedürfnis für eine Verschonung unbürokratisch nachkommen. Um einen bürokratischen Ermittlungsaufwand in jedem Einzelfall und damit verbundene Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, erfolgt im Wege der Typisierung eine Erhöhung der Prüfschwelle um 100 Prozent.
Zur Verme...