Rz. 25
In der Praxis anzutreffen sind Fälle, bei denen die im Steuerbescheid für den Vorerwerb ausgewiesene schenkungsteuerliche Bemessungsgrundlage unrichtig war. Dies können Konstellationen sein, bei denen z. B. ein Grundbesitzwert, der Wert des Betriebsvermögens oder ein Stuttgarter Verfahrenswert materiell-rechtlich unzutreffend ermittelt wurden. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die bei der Festsetzung des Vorerwerbs unterlaufenen Fehler berichtigt werden können oder gleichsam unkorrigiert in die Zusammenrechnung gem. § 14 Abs. 1 ErbStG eingehen müssen.
Rz. 26
Es besteht weitgehend Einigkeit, dass Vorerwerbe in die Zusammenrechnung stets mit dem materiell-rechtlich zutreffenden Wert einzubeziehen sind. Die Bestandskraft des Bescheids über den Vorerwerb ist hinsichtlich der dort getroffenen Feststellungen bedeutungslos, weil dessen Wertansätze bei der Berechnung der Steuer für den Gesamterwerb nicht 1:1 zu übernehmen sind. Denn der Vorerwerbs-Steuerbescheid erzeugt keine Bindungswirkung im Sinne eines Grundlagenbescheids.
Rz. 27
Die einzelnen Erwerbe unterliegen als selbstständige steuerpflichtige Vorgänge jeweils für sich der Steuer; denn die Steuer entsteht für jeden einheitlichen Rechtsübergang jeweils mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands. Auch § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG ändert nach Ansicht des BFH hieran nichts; durch diese Vorschrift würden weder die früheren Steuerfestsetzungen mit der Steuerfestsetzung für den letzten Erwerb zusammengefasst noch würden die einzelnen Erwerbe innerhalb eines 10-Jahreszeitraums zu einem einheitlichen Erwerb verbunden. Die Vorschrift treffe lediglich eine besondere Anordnung für die Berechnung der Steuer, die für den (jeweils) letzten Erwerb innerhalb des 10-Jahreszeitraums festzusetzen sei.
Rz. 28
Ganz überwiegend wird diese Entscheidung dahin verstanden, dass eine Fehlerkorrektur – bezogen auf den Vorerwerb – i. S. d. § 14 ErbStG grundsätzlich möglich ist.
Nach Ansicht des FG Niedersachsen soll eine Fehlerkorrektur i. S. d. § 14 ErbStG nicht möglich sein, wenn der Wert des Vorerwerbs durch einen bestandskräftigen Grundlagenbescheid festgestellt worden ist. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn sich aus dem maßgeblichen Feststellungsbescheid nicht entnehmen lässt, dass die darin getroffene Wertfeststellung nur für die Besteuerung des Vorerwerbs von Bedeutung ist und keine Bindungswirkung mehr für alle nachfolgenden Übertragungen haben soll sowie der maßgebliche Feststellungsbescheid für den entsprechenden Zweck ergangen ist, für den auch die Berücksichtigung nach § 14 ErbStG vorzunehmen ist.
Die Ansicht des FG überzeugt nicht, da sie sich nicht mit der herrschenden Lehre auseinandersetzt, sondern diese unter "Berufung auf die Überzeugung des Gerichts jedenfalls bei einem bestandskräftigen Feststellungsbescheid" nicht anwenden will.
Rz. 29
Beratungshinweis:
Für den steuerlichen Berater bedeutet dies, dass er z. B. gegen den Wertansatz des Vorerwerbs bislang nicht vorgebrachte Bedenken nunmehr äußern muss, um so eine Korrektur des in die Zusammenrechnung einfließenden Wertansatzes zu erreichen. Ein Schenkungsteuerbescheid, der die rückgängig gemachte Schenkung eines mit einem Nießbrauchsrecht zugunsten Dritter belasteten Grundstücks als Vorerwerb berücksichtigt, ist nach Aufhebung des Schenkungsteuerbescheids bezüglich der Grundstücksschenkung gem. § 29 Abs. 2 ErbStG i. V. m. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu ändern.
Über die Neuregelung des § 14 Abs. 2 lassen sich seit 29.12.2020 derartige Fälle auch ohne Hinweis auf die Rspr. des FG Schleswig-Holstein rückwirkend korrigieren.