Rz. 62
Finden mehrere Zuwendungen zwischen denselben 2 Beteiligten nicht nur innerhalb eines 10-Jahreszeitraums statt, sondern verteilen sie sich auf mehrere aufeinanderfolgende 10-Jahresperioden, können einzelne Schenkungen wegen der rückwärtsgerichteten Zusammenrechnung unverhältnismäßig hoch besteuert werden.
Rz. 63
Um dieses unbillige Ergebnis zu beseitigen, hat der BFH bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 diese sog. Überprogression durch 2 Korrekturen gemildert. Zum einen hat er den sog. wiederauflebenden Freibetrag kreiert und zum anderen ließ er die Anhebung des Steuersatzes für die Vorerwerbe auf den Steuersatz des Gesamtbetrags der Zuwendung zu.
Rz. 64
Der BFH konstatiert, dass § 14 Abs. 1 ErbStG bei "buchstäblicher Anwendung" nur einen Fall erfasse, "dass sämtliche Zuwendungen innerhalb eines einzigen 10-Jahreszeitraums liegen". Von Rechts wegen und nicht nur aus Gründen der Billigkeit sei daher eine Korrektur für Fälle überschneidender 10-Jahreszeiträume geboten. Es handele sich prinzipiell um 2 Fehlerquellen, die, so der BFH wörtlich, "auszumerzen" seien.
3.6.1 Der wiederauflebende Freibetrag
Rz. 65
Die erneute Berücksichtigung des Freibetrags eines früheren in dem unmittelbar folgenden 10-Jahreszeitraum hat nach Ansicht des BFH nicht dadurch zu geschehen, dass bei der Berechnungsgrundlage der Steuer auf den Gesamterwerb ein zweiter Freibetrag angesetzt wird. Vielmehr muss bei der Berechnung der Steuer für die erste Schenkung nach Ablauf eines 10-Jahreszeitraums zu der Berechnungsgrundlage der Steuer, "die für die früheren Erwerbe nach den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre" der Freibetrag max. in der Höhe des neuen Erwerbs, im Übrigen aber in der Höhe zugerechnet werden, in der er durch eine jetzt nicht mehr innerhalb des 10-Jahreszeitraums liegende Schenkung verbraucht worden war. Sofern der Freibetrag nicht voll ausgeschöpft wird, lebt der Rest bei der folgenden Schenkung unter den gleichen Voraussetzungen auf.
3.6.2 Anhebung des Steuersatzes
Rz. 66
Bei einer Kette von Schenkungen, die über einen 10-Jahreszeitraum hinausreichen, lassen sich allein durch das Institut des "Wiederauflebens des Freibetrags" nicht alle durch § 14 ErbStG hervorgerufene Fälle einer Überprogression ausgleichen. Derartige Fehler können vielmehr auch aus anderen Gründen eintreten. So liegt ein weiterer im System von § 14 Abs. 1 ErbStG angelegter Fehler darin begründet, dass bei den mittleren Schenkungen im Überschneidungszeitraum beider 10-Jahreszeiträume unter Umständen der Steuersatz infolge von Vorschenkungen, die nunmehr außerhalb des 10-Jahreszeitraums liegen, über den Steuersatz hinaus angehoben war, mit dem bei "buchstäblicher" Anwendung von § 14 Abs. 1 ErbStG die Vorschenkungen nunmehr als Abzugsposten anzuwenden wären.
Rz. 67
Ist bei der Versteuerung der jeweils letzten Zuwendung der Steuersatz aus dem Gesamtbetrag höher als der Steuersatz, der bei "buchstäblicher" Anwendung von § 14 Abs. 1 S. 2 ErbStG bei der Ermittlung der Steuer auf den Vorerwerb anzuwenden wäre, würden die Mittelglieder überprogressiv besteuert. Dieser Fehler ist nach Ansicht des BFH dadurch zu vermeiden, dass der bei der Ermittlung der Steuer auf den Vorerwerb anzuwendende Steuersatz auf den Hundertsatz gehoben wird, mit dem die Vorschenkungen bei der vorangegangenen Berechnung anzusetzen waren, höchstens aber auf den Hundertsatz, der für die Versteuerung der letzten Schenkung maßgeblich ist.
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Variante 1 |
Variante 2 |
Steuersatz letzte Schenkung des vorangehenden 10-Jahreszeitraums |
15 % |
17 % |
Steuersatz zum Zeitpunkt der letzten Schenkung (neuer 10-Jahreszeitraum) |
19 % |
15 % |
anzusetzender Steuersatz nach BFH |
19 % |
15 % |
Rz. 68
Der BFH hat seine Rspr. später dahin präzisiert, dass die Korrektur der Überprogression nicht auf die Höhe des auf die jeweils letzte Zuwendung anzuwendenden Steuersatzes beschränkt sei. Durch Entscheidung des BFH vom 14.1.2009 ist nunmehr klargestellt, dass dieses Korrekturinstrument letztmals für "Letzterwerbe bis 31.12.1996" angewandt werden kann.
Rz. 69
Ferner hat der BFH bei einer Schenkungskette, die mit einer Erhöhung des persönlichen Freibetrags zusammentrifft, entschieden, dass dem Steuerpflichtigen die Differenz zwischen altem und neuem Freibetrag erhalten bleiben müsse.