Hermann Längle, Prof. Dr. Hagen Kobor
Nachfolgend wird die jüngere Rechtsfortbildung durch Finanzgerichtsbarkeit und FinVerw dargestellt.
1.5.1 Die Fortentwicklung der Rechtsprechung zur eingetragenen Lebenspartnerschaft
Rz. 7
Eine vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft war nach der Rspr. des BFH nicht verfassungsrechtlich geboten. Dieser Auffassung hat der Erste Senat des BVerfG mit Beschluss vom 21.7.2010 sehr eindeutig widersprochen:
§ 16 Abs. 1, § 17, § 15 Abs. 1 und § 19 ErbStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.2.1997 waren nach Auffassung des BVerfG vom Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 24.12.2008 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit eingetragene Lebenspartner gegenüber Ehepartnern benachteiligt wurden.
Der Gesetzgeber musste nach dem Beschluss des BVerfG bis zum 31.12.2010 eine Neuregelung für die vom Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.2.1997 betroffenen o. g. Altfälle treffen, die diese Gleichheitsverstöße im genannten Zeitraum beseitigt. Das BVerfG hat mit ausführlicher Begründung eine Übergangsfrist zur Nachbesserung abgelehnt. Damit musste für Altfälle zwingend eine vollständige Gleichstellung für den Anwendungsbereich des Erbschaftsteuergesetzes geschaffen werden.
Das BVerfG konnte mangels Einschlägigkeit auf die konkret zu entscheidenden Fälle nicht zur Rechtmäßigkeit des ab 1.1.2009 gültigen Rechts, insbesondere zur verbliebenen Differenzierung in den Steuersätzen, Stellung nehmen. Dennoch blieb dem Gesetzgeber nichts anderes übrig, als die ohnehin geplante Gleichstellung auch insoweit rückwirkend zu gewähren und diese Rückwirkung in die Anwendungsvorschriften zum JStG aufzunehmen. Dies ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung des BVerfG: "Die Staffelung der Steuerklassen und Steuersätze dient dem Zweck, die Erbschaftsteuer nach Ehe und Verwandtschaftsnähe auf der einen und nach dem Nachlassvolumen auf der anderen Seite abzuschichten. Diese Regelung trägt dem erbrechtlichen Familienprinzip und dem steuerrechtlichen Grundsatz der Leistungsfähigkeit Rechnung". "Weder der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit noch allein die Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG und auch nicht das Familienprinzip vermögen die Unterschiede zwischen Ehegatten und Lebenspartner in den Steuersätzen zu rechtfertigen".
1.5.2 Begünstigung eingetragener Lebenspartner durch das JStG 2010
Rz. 7a
Seit Inkrafttreten des JStG 2010 zum 8.12.2010 ist die vollständige Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht verwirklicht. Im ErbStG betreffen die Änderungen die §§ 15–17 ErbStG, wobei die inhaltliche Auswirkung beim Tarif nach § 19 ErbStG eintritt. Die Freibeträge waren schon zum 1.1.2009 mit dem ErbStRG angeglichen worden, weshalb die Änderungen bei den §§ 16 und 17 ErbStG rein redaktionellen Charakter hatten.
In § 15 ErbStG wurde in Abs. 1 die Nr. 1 bei Steuerklasse I und die Nr. 7 bei Steuerklasse II um die eingetragenen Lebenspartner erweitert (s. Rz. 9 ff.). Ferner ist mit dem JStG 2010 insoweit eine vollständige Rückwirkung auf Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31.7.2001 entstanden ist, umgesetzt worden. In § 37 Abs. 5 ErbStG wurde angeordnet, die ohnehin ab dem 8.12.2010 vorgesehene vollständige Gleichstellung für alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide mit Steuerentstehung ab dem 1.8.2001 zu gewähren. Damit sind Lebenspartner ab dem 1.8.2001 den Ehegatten hinsichtlich der Steuerklassenzuordnung und damit auch hinsichtlich des Steuertarifs gleichgestellt, soweit nicht Bestandskraft nach altem Recht eingetreten ist (§ 37 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).
1.5.3 Anwendungswahlrecht in § 15 Abs. 3 ErbStG
Rz. 8
Mit dem ErbStRG wurde zum 1.1.2009 in die seither verbindlich vorgeschriebene Sonderregelung des § 15 Abs. 3 ErbStG ein Anwendungswahlrecht (Antrag) integriert, um ggf. denkbare nachteilige Wirkungen der Anwendung vermeiden zu können (Rz. 80).
1.5.4 Steuerklassenprivileg bei Schenkungen durch Kapitalgesellschaften – § 15 Abs. 4 ErbStG – aktuelle Entwicklungen
Rz. 8a
Die Vorschrift des § 15 Abs. 4 S. 1 ErbStG sollte Härten ausräumen, die sich aus einer möglichen Einordnung bestimmter Leistungen als freigebige Zuwendung einer Kapitalgesellschaft an Gesellschafter bzw. nahestehende Person im Hinblick auf Steuersatz und Freibetrag ergeben (vgl. Rz. 82, 83). Die Norm gewährt insoweit eine Privilegierung, als eine Schenkung einer Kapitalgesellschaft für die Zuordnung hinsichtlich Steuerklasse, Freibetrag und Vorschenkungen dem veranlassenden Gesellschafter als Rechtsfolgeabweichung zugeordnet wird. Damit kann häufig eine Besteuerung nach Steuerklasse III vermieden werden, die ansonsten grundsätzlich bei Schenkungen durch Kapitalgesellschaften zur Anwendung käme. Die Inanspruchnahme der Privilegierung ist nicht dispositiv...