2.1 Anwendung der Vorschrift
Rz. 7
Wie Weinmann treffend formuliert, ist § 19 Abs. 1 ErbStG im Grundfall, was die Anwendung im einzelnen Steuerfall angeht, eine der einfacheren Vorschriften des ErbStG.
Ist nämlich die Bemessungsgrundlage nach § 10 ErbStG, abgerundet auf volle Hundert, definiert, muss nur noch der richtige Steuersatz der Tabelle durch Zuordnung einer Besteuerungsstufe entnommen und auf die Bemessungsgrundlage angewendet werden.
2.2 Der Tarif in der Ausprägung nach dem ErbStRG und der Modifikation nach dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
Rz. 8
§ 19 Abs. 1 ErbStG stellt nach wie vor – basierend auf § 15 Abs. 1 ErbStG – auf 3 Steuerklassen ab. Die Vorschrift enthält auch nach der Reform 21 Steuersätze. Der bisherige Steuertarif der Steuerklasse I bleibt nach der Reform von den anzuwendenden Steuersätzen her unverändert; angeordnet ist dort wie bisher ein Anstieg in Stufen von 4 %. Allerdings wurden die jeweiligen Tarifstufen, bis zu denen der jeweilige Steuersatz anzuwenden ist, erheblich aufgerundet. Dieser Tarif gilt insbesondere für Ehegatten, Kinder und nunmehr auch für eingetragene Lebenspartner (vgl. § 15 Abs. 1 ErbStG). Für Erwerber der Steuerklassen II und III wurde mit dem ErbStRG ein einheitlicher Tarif mit nur noch 2 unterschiedlichen Steuersätzen – jeweils 30 % und 50 % – eingeführt, wobei der Steuersatz von 50 % für steuerpflichtige Erwerbe über 6 Mio. EUR gilt. Deswegen gab es nach dem ErbStRG faktisch nur noch 9 unterschiedliche Tarife. Während des langwierigen Reformprozesses im Jahr 2008 war man bis zum Schluss davon ausgegangen, dass es noch zu einer Differenzierung der Steuerklassen II und III kommen würde. Diese Differenzierung wurde aus Aufkommensgründen dann doch nicht mehr vorgenommen, da der immer weitergehenden Verschonung des Betriebsvermögens und anderen Sonderregeln Vorrang eingeräumt wurde.
Rz. 8a
Die Gleichbehandlung der in Steuerklasse II einzuordnenden näheren Verwandten (u. a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit den in die Steuerklasse III fallenden übrigen Erwerbern stieß bei betroffenen Bürgern und auch in der Lit. auf nachhaltige Kritik. Geltend gemacht wurde ein Widerspruch zu dem sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Familienprinzip; die Regelung trage dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie nicht Rechnung.
M. E dürfte das ErbStRG – jedenfalls unter diesem Aspekt – verfassungsrechtlich aus folgenden Überlegungen nicht erfolgreich angegriffen werden können:
In dem der Erbschaftsteuerreform 2008 zugrunde liegenden Beschluss hat das BVerfG die tragenden Prinzipien des ErbStG nicht kritisiert, sondern eine folgerichtige Umsetzung eingefordert: "Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber danach einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes." Das BVerfG bestätigte erneut die "grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert". Mit der Differenzierung nach Steuerklasse I und den übrigen Steuerklassen II und III hat der Gesetzgeber von dieser Freiheit in zulässiger Weise Gebrauch gemacht. Auch der grundlegende Beschluss des BVerfG vom 22.6.1995 fordert nur eine Privilegierung für Steuerklasse I:
"Neben den verfassungsrechtlichen Schutz der Testierfreiheit tritt der Schutz von Ehe und Familie.. Deshalb sieht das bestehende Erbschaftsteuerrecht auch das Familienprinzip als weitere Grenze für das Maß der Steuerbelastung vor. … Der erbschaftsteuerliche Zugriff bei Familienangehörigen i. S. d. Steuerklasse I ist derart zu mäßigen, dass jedem dieser Stpfl. der jeweils auf ihn überkommene Nachlass – je nach dessen Größe – zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugutekommt. Im geltenden Steuerrecht wird dies – bei den gegenwärtigen Steuersätzen – in typisierender Weise durch die Freibeträge des § 16 ErbStG für Ehegatten und Kinder erreicht, …".
Rz. 8b
Der Gesetzgeber hat mit dem WachstBeschlG der Kritik an der Gleichstellung der Steuerklassen II und III aus politischen Erwägungen nachgegeben, aber nur für Erwerbe ab dem Jahre 2010 und nur für den Tarif, d. h. nicht für die Freibeträge. Eine Rückwirkung auf das Jahr 2009, wie sie für Erleichterungen bei der Verschonung des Betriebsvermögens gilt, wurde im Hinblick auf schon bestandskräftige Fälle und die fortbestehende Einschätzung zum insoweit nicht vorhandenen verfassungsrechtlichen Privilegierungsgebot nicht für erforderlich erachtet. So verbleibt es für die Steuerklassen II und III für das Jahr 2009 bei nur 2 Steuersätzen – jeweils 30 % und 50 % –, während für die Steuerklasse II ab dem Jahr 2010 wieder 7 Stufen gelten, die von 15 % bis 43 % in Schritten von 5 % bzw. in der letzten Stufe um 3 % ansteigen.
Rz. 9
Die alten und neuen Steuersätze mit den neuen Tarifstufen im Überblick:
Die Erbschaftsteuer wird für Erwerbe ab dem Jahr 2010 nach folgenden Prozentsätze...