6.3.1 Allgemeines
Rz. 77
§ 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ordnet eine entsprechende Haftung für Vermögensverwahrer (Gewahrsamsinhaber) an. Dies sind insbesondere Geldinstitute und ebenso Rechtsanwälte, Steuerberater und Notare, aber auch Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Nachlasspfleger. Im Gegensatz zur Haftung nach § 20 Abs. 6 S. 1 ErbStG verlangt § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ausdrücklich ein Verschulden. Außerdem ist die Haftung auf Vermögen eines Erblassers, also auf die Erbschaftsteuer beschränkt, mithin auf die Schenkungsteuer nicht anwendbar. Erfasst sind aber Schenkungen auf den Todesfall und Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG erlegt dem Gewahrsamsinhaber eine Garantenstellung. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass der Steueranspruch nicht dadurch vereitelt wird, indem im Inland verwahrtes Vermögen ins Ausland verbracht wird. Der Gewahrsamsinhaber ist zur Vermeidung der Haftungsfolge gehalten, vor Aushändigung der Vermögensgegenstände an den Erben (bzw. vor Verbringung ins Ausland) die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG zu prüfen.
6.3.2 Unbedenklichkeitsbescheinigung
Rz. 78
Für Vermögensverwahrer wird es sich daher häufig empfehlen, vor Transaktionen ins Ausland auf der Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung seitens des FA über die Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer zu bestehen. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ist erforderlich unabhängig von der Höhe einer ggf. gegebenen Anzeigepflicht. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung stellt mangels Regelungscharakters keinen Verwaltungsakt i. S. d. § 118 AO dar. Es handelt sich lediglich um eine Wissenserklärung des FA über die Erfüllung steuerlicher Pflichten. Macht der Verwahrer von einer solchen Unbedenklichkeitsbescheinigung Gebrauch, handelt er regelmäßig nicht schuldhaft i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG. Der Kursverfall vermachter Aktien nach dem Todestag des Erblassers rechtfertigt wegen des Stichtagsprinzips keinen Erlass deswegen, weil der Vermächtnisnehmer wegen einer wegen § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG erforderlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung erst später über die Aktien verfügen konnte.
6.3.3 Gewahrsam
Rz. 79
Gewahrsam am "Vermögen des Erblassers" i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ist ein eigenständiger steuerrechtlicher Begriff. Er meint einen Zustand unmittelbarer tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeit. Der Gewahrsam ist nicht mit dem zivilrechtlichen Besitz an Sachen gleichzustellen und verlangt jedenfalls keine rechtliche Verwertungsbefugnis. Kreditinstitute sind bezüglich der Bankguthaben ihrer Kunden Gewahrsamsinhaber; dies gilt auch für Anderkonten. Ein Gewahrsam Dritter kann nicht mehr entstehen, wenn ein Erbe oder ein Dritter im Auftrag des Erben Verfügungsmacht über das Vermögen des Erblassers erlangt hat. Der Gewahrsam eines Kreditinstituts erstreckt sich auch auf Vermögen, das bei einer unselbstständigen Zweigniederlassung im Ausland verwahrt wird.
Rz. 80
Die Haftung für Bankkonten besteht ohne Rücksicht auf Verfügungsrechte Dritter. Sie erstreckt sich deshalb auch auf die Freigabe von Oder-Konten bzw. Oder-Depots (z. B. von Eheleuten), bei denen der überlebende Berechtigte ein unbeschränktes Verfügungsrecht hat.
Rz. 81
Ebenso besteht ein haftungsbegründender (Mit-)Gewahrsam der Geldinstitute an Schließfächern des Erblassers. Das Geldinstitut haftet nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG, wenn es – ohne sich der Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer zu vergewissern – dem Berechtigten die Entnahme des Erblasser-Vermögens gestattet. Die nach § 1 Abs. 3 ErbStDV auf das Vorhandensein eines Schließfachs beschränkte Anzeigepflicht der Geldinstitute steht ihrer Haftung insoweit nicht entgegen.
Rz. 82
Die Banken können ihr Haftungsrisiko in der Weise ausschließen, dass sie dem Erben eine Bestätigung über den Inhalt des Schließfachs erteilen. Diese Bestätigung legen die Erben dem FA vor, das diesen sodann eine Bestätigung über die Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer erteilt. Auch kann das FA die zur Freigabe des Schließfachinhalts berechtigende Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilen, wenn dem FA mit der Erbschaftsteuererklärung eine Bestätigung des Geldinstituts über den Schließfachinhalt bei erstmaliger Öffnung nach dem Tod des Erblassers vorgelegt wird. Möglich ist auch, einen vom...