Rz. 11
§ 27 Abs. 1 ErbStG setzt den Übergang von Vermögen voraus, das seinerseits beim Ersterwerb der Besteuerung unterlegen hat. Der insoweit geforderte Übergang "desselben" Vermögens bedeutet nicht, dass das vom Zweiterwerber erworbene Vermögen in seiner konkreten Form mit dem vom Ersterwerber erlangten Vermögen identisch sein muss. Gegen eine solche Auslegung spricht, dass § 27 Abs. 1 ErbStG – anders als z. B. § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG – auf das "Vermögen" und nicht auf "Vermögensgegenstände" abhebt. Durch den "Vermögensgegenstand" ist ein einzelner zum Vermögen gehörender konkreter Gegenstand bezeichnet. Der Begriff "Vermögen" umschreibt hingegen eine Gesamtheit geldwerter Gegenstände. Aus diesem Grund genügt für den Übergang von Vermögen i. S. d. § 27 Abs. 1 ErbStG, dass eine nachweisbare Kontinuität des Wertsaldos besteht. Bei einem Austausch eines Gegenstands liegt mithin dasselbe Vermögen vor, wenn sein Wert als Gegenstand der früheren und der nunmehrigen Bereicherung erhalten bleibt. Werden also z. B. Wertpapiere verkauft und mit dem Erlös ein Grundstück angeschafft, so steht dies der Begünstigung aus § 27 ErbStG nicht entgegen. Eine Art- und Funktionsgleichheit des Vermögensgegenstands, wie sie von der Rspr. im Zusammenhang des § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG gefordert wird, muss insoweit nicht bestehen.
Rz. 12
§ 27 ErbStG ist auch bei der Übertragung eines Nacherbenanwartschaftsrechts auf den Vorerben anwendbar. Durch diese Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts wird der Vorerbe unbeschränkter Vollerbe. Bei dem Nacherben wird bezüglich des ihm zufließenden Entgelts durch § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG ein Erwerb vom Erblasser fingiert. Diese Fiktion ist auch bei der Anwendung des § 27 ErbStG bezüglich des vorausgesetzten Erwerbs desselben Vermögens zu beachten. Sofern mithin das an den Nacherben gezahlte Entgelt aus Vermögen stammt, das der Vorerbe von Personen erhalten hat, zu denen er im Verhältnis der Steuerklasse I steht, ist § 27 ErbStG anwendbar.
Rz. 13
Ist Vor- und Nacherbfolge angeordnet und tritt der Nacherbfall durch den Tod des Vorerben ein, ist § 27 ErbStG unter seinen näheren Voraussetzungen anwendbar. Anderes gilt aber im Fall des nicht durch den Tod des Vorerben eintretenden (vorzeitigen) Nacherbfalls. Hierzu ordnet § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG die Anrechnung der vom Vorerben entrichteten Steuer abzüglich des Steuerbetrags, der der tatsächlichen Bereicherung des Vorerben entspricht, an. Mit Rücksicht auf die Anrechnungsregelung des § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG ist der Erwerb des in der Steuerklasse I besteuerten Vorerben nicht als belasteter Erwerb i. S. d. § 27 ErbStG zu berücksichtigen (R E 27 Abs. 3 ErbStR 2019). Damit unterbleibt die Anrechnung nach § 27 ErbStG allerdings auch insoweit, als der Vorerbe tatsächlich eine Bereicherung zu versteuern hatte.
Rz. 14
Ob und in welchem Umfang Wertsteigerungen des Vermögens zwischen Erst- und Letzterwerb von der Vergünstigung des § 27 ErbStG ausgenommen sind, hat wegen der Ermäßigungshöchstgrenze des § 27 Abs. 3 ErbStG nur geringe praktische Bedeutung. Denn § 27 Abs. 3 ErbStG schließt eine Entlastung insoweit aus, als die Wertsteigerung noch nicht der Besteuerung unterlegen hat und daher keine mehrfache Steuerbelastung droht. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich allerdings, wenn "dasselbe" Vermögen nur noch teilweise auf den Letzterwerber übergeht und überdies bei den einzelnen Gegenständen Wertveränderungen eingetreten sind. In derartigen Fällen wird die Ermittlung des Umfangs des begünstigten Vermögensübergangs häufig nur im Wege einer Schätzung möglich sein. Kommt es vor dem Letzterwerb zu einer Wertminderung desselben Vermögens, darf nur der geminderte Wert im Zeitpunkt des Nacherwerbs in die Ermäßigung einbezogen werden.