Rz. 25
Die neue Verschonungsbedarfsprüfung wirft zahlreiche (verfassungsrechtliche) Fragen auf.
Die Verschonungsbedarfsprüfung beruht auf der (3.) Entscheidung des BVerfG zum ErbStG. Eine steuerliche Verschonung bedarf in größeren Fällen einer individuellen Bedürfnisprüfung. Das BVerfG hat allerdings nicht deutlich gemacht, ob es dafür auf die Größe des Erwerbs oder auf die Größe des Unternehmens ankommen soll. Der Gesetzgeber hat sich für den Erwerb des begünstigten Vermögens entschieden. Dies entspricht dem Bereicherungsprinzip und ist steuersystematisch überzeugend.
Rz. 26
Die Verschonungsbedarfsprüfung erfolgt jetzt allerdings völlig unabhängig von der Größe des Unternehmens. Eine Bedarfsprüfung ist demnach auch dann erforderlich, wenn ein Erwerber begünstigtes Vermögen an einem kleinen oder mittleren Unternehmen im Wert von mehr als 26 Mio. EUR übersteigt. Dies geht möglicherweise über die Anforderungen des BVerfG hinaus und ist somit unverhältnismäßig. Umgekehrt unterbleibt eine individuelle Bedürfnisprüfung beim Erwerb von großen bzw. größeren Unternehmen, wenn der Wert des begünstigten Vermögens nicht mehr als 26 Mio. EUR beträgt. Dies wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben möglicherweise nicht gerecht.
Rz. 27
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung selbst darauf hingewiesen, dass eine Ausdehnung der Bedürfnisprüfung auf das vorhandene Privatvermögen des Erwerbers "in erheblichem Widerspruch zur Systematik des Erbschaftsteuerrechts" stehen würde. Grundlage der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist allein die "Bereicherung", die der Erwerber durch den Erbfall oder die Schenkung erlangt (§ 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG). Das Bereicherungsprinzip hat in Deutschland eine über 100-jährige Tradition und wurde vom Gesetzgeber ohne Not durchbrochen.
Rz. 28
Der Steuererlass aufgrund der Verschonungsbedarfsprüfung ist unabhängig von der Höhe des begünstigten Vermögens anwendbar. Im Unterschied zu dem Abschmelzungsmodell (§ 13c ErbStG) ist ein (vollständiger) Steuererlass auch bei Erwerben von mehr als 90 Mio. EUR möglich. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung angedeutet, dass der Gesetzgeber grundsätzlich auch den Erwerb von "Betriebe(n) mit Unternehmenswerten von mehreren Hundertmillionen oder auch mehreren Milliarden Euro" vollständig von der Steuer freistellen kann. Allerdings bedarf es dafür besonderer Gemeinwohlgründe. Die entscheidende Frage ist somit, ob die neue Verschonungsbedarfsprüfung diesen erhöhten Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Steuerbelastung genügt. Dies erscheint vor allem im Hinblick auf die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten mit "künstlichen" Erwerbern (wie etwa Stiftungen) durchaus zweifelhaft.
Rz. 29
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung die Möglichkeit einer "Förderungshöchstgrenze" von 100 Mio. EUR angesprochen, bei der eine Steuerverschonung enden könnte. Bei größeren Erwerben wäre nach Auffassung des BVerfG nur noch eine Stundungsregelung denkbar. Der Gesetzgeber hat bei der neuen Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) indes keinerlei (betragsmäßige) Höchstgrenze vorgesehen. Die Verschonungsbedarfsprüfung gilt auch beim Erwerb von begünstigten Vermögen von mehr als 100 Mio. EUR. Daneben besteht in allen Fällen die zusätzliche Möglichkeit der Steuerstundung (§ 28 Abs. 1 ErbStG, § 222 AO und § 28a Abs. 3 ErbStG). Im Ergebnis könnte dies eine übermäßige Steuerbegünstigung sein.
Rz. 30
Die neue Verschonungsbedarfsprüfung führt dazu, dass begünstigtes Vermögen vermehrt auf Erwerber ohne verfügbares Vermögen übertragen wird (z. B. minderjährige Kinder oder neu gegründete Stiftungen im In- und Ausland). Die Übertragung auf solche Erwerber könnte sich (aus unternehmerischen, wirtschaftlichen oder familiären Gründen) jedoch als wenig sinnvoll erweisen. Bislang galten Minderjährige und (anonyme) Stiftungen jedenfalls nicht unbedingt als die idealen Nachfolger für inhabergeführte Familienunternehmen. Möglicherweise hat der Gesetzgeber mit seiner jetzigen Neuregelung somit die falschen Anreize für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge geschaffen. Dann wäre der generationsübergreifende Fortbestand der Unternehmen nicht gesichert, sondern vielleicht sogar gefährdet.
Rz. 31
Die Regelung zum "verfügbaren Vermögen" führt mittelbar zu einer Vermögensbesteuerung, obwohl der Gesetzgeber die Wiedereinführung einer (echten) Vermögensteuer seit 1997 mehrfach ausdrücklich abgelehnt hat. Völlig ungeklärt ist zudem, ob die neue Form einer faktischen Vermögensteuer mit den Vorgaben des BVerfG zur früheren Vermögensteuer in Einklang steht.
Rz. 32
Der Erwerber muss sein verfügbares Vermögen gegenüber dem FA vollständig offenlegen, wenn er den Steuererlass in Anspruch nehmen möchte. Dies gilt umfassend und uneingeschränkt für alle Vermögenswerte. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es auf jeden EUR an. Es gibt keinerlei Freibeträge oder Freigrenzen. Dies ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre des Stpfl., der durch den Steuererlass für den Erwerb unternehmerischen Vermögens nicht gerec...