Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 317
Der in der Praxis am häufigsten vorkommende Fall des Vermächtnisses ist das Geldvermächtnis. Hier handelt es sich um ein sog. Gattungsvermächtnis. Zu unterscheiden sind das Geldsummenvermächtnis, dessen Wert dem vermachten Geldbetrag entspricht, und das Geldwertvermächtnis, dessen Wert von der Höhe eines Vermögensgegenstands abhängt. Ob die vom BFH entwickelten Grundsätze über mittelbare Schenkungen nach dem geltenden ErbStG i. d. F. des ErbStRG vom 24.12.2008 weiter gelten, erscheint zweifelhaft (§ 7 ErbStG Rz. 330 ff.). Jedenfalls hat es der BFH abgelehnt, die entsprechenden Grundsätze auf Erwerbe von Todes wegen anzuwenden. Wenn ein durch Vermächtnis zugewendeter Geldbetrag nach dem Willen des Erblassers zum Erwerb eines bestimmten Vermögensgegenstands verwendet werden soll, bleibt es deshalb dabei, dass der Nennwert der Geldsumme anzusetzen ist. Unter Umständen kann ein den Nachlass übersteigendes Geldvermächtnis zur erbschaftsteueroptimalen Gestaltung verwendet werden. Dabei können die Freibeträge des § 16 ErbStG mehrfach ausgenutzt werden, indem der/die Vermächtnisnehmer mit Mitteln des Erben befriedigt werden, die nicht aus dem Nachlass stammen. Sofern dem Vermächtnisnehmer der Wert des Nachlasses und die Gestaltung bekannt sind, könnte es sich aber nach dem objektiven Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereits um eine Schenkung bzw. das Angebot auf den Abschluss eines Schenkungsvertrags handeln, welches der Vermächtnisnehmer nach § 151 S. 1 BGB nicht annehmen muss.
Die Ehefrau E des M hat als einziges Vermögen eine Eigentumswohnung im Wert von 200.000 EUR. E testiert: "Alleinerbe ist mein Mann M. Als Vermächtnisse in bar erhalten unsere Kinder S und T je 400.000 EUR." E stirbt. M behält die Wohnung und erfüllt die Barvermächtnisse aus eigenem Vermögen. S und T ist die Vermögenslage der E nicht bekannt. Ein Jahr später stirbt M mit einem Vermögen von 800.000 EUR, das S und T je zu 1/2 erben.
Sollten S und T die im Vermächtnis vorgesehenen 400.000 EUR pro Kind von E erworben haben, erhalten sie die weiteren 400.000 EUR pro Kind aus dem Erbe des M aufgrund des Freibetrags (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) steuerfrei.
Stellt sich der Sachverhalt hingegen so dar, dass S und T die im Vermächtnis vorgesehenen jeweiligen 400.000 EUR auf Basis freigebiger Zuwendungen seitens des M erhalten haben, ist nach dem Anfall der Erbschaft des M der Freibetrag i. H. v. 400.000 EUR pro Erben infolge einer Zusammenrechnung des Vorerwerbs der Kinder (§ 14 Abs. 1 ErbStG) überschritten, sodass in Konsequenz die Freibeträge nicht "doppelt" genutzt werden können.
Rz. 318
Beim sog. Sachvermächtnis geht es um die Zuwendung eines dem Erblasser regelmäßig gehörenden Gegenstands. Zivilrechtlich wird es auch als sog. Stückvermächtnis bezeichnet. Das Stückvermächtnis setzt voraus, dass der Gegenstand zur Zeit des Erbfalls zum Nachlass gehört. Eine Sonderform des Stückvermächtnisses ist das sog. Verschaffungsvermächtnis. Dadurch wird der Beschwerte verpflichtet, dem Vermächtnisnehmer den Gegenstand zu verschaffen, in dem er ihn entgeltlich erwirbt und im Anschluss an den Vermächtnisnehmer überträgt. Einen weiteren Sonderfall des Stückvermächtnisses bildet das Wahlvermächtnis. Es ist der Hauptfall der Wahlschuld. Beim Wahlvermächtnis ist unter verschiedenen Gegenständen zu wählen, wobei die Wahl durch den Beschwerten ausgeübt wird. Die Bestimmung kann aber auch durch den Vermächtnisnehmer selbst oder einen Dritten erfolgen. Die Ausübung des Wahlrechts wirkt gem. § 263 Abs. 2 BGB auf den Stichtag zurück.
Rz. 319
In der Praxis von nicht unerheblicher Bedeutung sind sog. Renten- und Nießbrauchsvermächtnisse. Beim Rentenvermächtnis wird ein Anspruch auf Rentenzahlungen oder andere wiederkehrende Leistungen zugewendet. Gegenstand des Nießbrauchsvermächtnisses ist ein Nutzungsrecht. Das Rentenvermächtnis ähnelt in seiner wirtschaftlichen Wirkung dem Nießbrauch. Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass beim Rentenvermächtnis bestimmt werden kann, ggf. auch die Substanz anzugreifen. Der Vermächtnisanspruch ist mit dem sich aus § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. §§ 13 ff. BewG ergebenen Kapitalwert anzusetzen. Auch mehrjährige Mietverbilligungen, die vermächtnisweise zugewendet werden, sind mit dem Kapitalwert gem. § 13 BewG bewertbare Erwerbe.
Rz. 320
Eine Sonderform des Vermächtnisses bildet das sog. Zweckvermächtnis. Wenn der Erblasser den Zweck des Vermächtnisses (z. B. Finanzierung des Studiums) bestimmt, kann er es dem Beschwerten oder einem Dritten überlassen, die Leistung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Zwar ordnet § 2065 Abs. 2 BGB an, dass der Erblasser die Bestimmung des Gegenstands eines Vermächtnisses einem anderen nicht überlassen kann. Doch macht gerade das Zweckvermächtnis hiervon eine wichtige Ausnahme. Das Bestimmungsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das wie eine aufschiebende Bedingung wirkt.
Rz. 321
Zivilrechtlich ist es anerkannt,...