Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 570
Die Tatsache, dass sich dem Wortlaut des Satz 1 kein subjektives Tatbestandsmerkmal des Bereicherungswillens entnehmen lässt, bedeutet nur, dass es darauf in dem Deckungsverhältnis zwischen dem Leistenden und der Gesellschaft nicht ankommt. Eine am Normzweck ausgerichtete Auslegung führt aber dazu, dass es nichtsdestoweniger im Valutaverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Bedachten nach der allgemeinen Dogmatik des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eines Bereicherungswillens bedarf. Der Ansatz von van Lishaut/Ebber/Schmitz, über den Wortlaut des Satz 1 hinaus zwar als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale,
(1) eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung einzuführen – was auf eine Abrede zwischen dem Leistenden und dem Bedachten hinausläuft –, und
(2) eine Entreicherung beim Leistenden zu verlangen, um dann beim Bereicherungswillen im Valutaverhältnis sich darauf zurückzuziehen,
dass sich dies dem Wortlaut nicht entnehmen lasse, ist inkonsequent.
Rz. 571
Jedenfalls dann, wenn es zwischen dem Leistenden und der Kapitalgesellschaft um Vorgänge im Geschäfts- und Wirtschaftsleben geht, ist die Kapitalgesellschaft Bezugspunkt für den Leistenden. Deswegen ist hier zugleich ein Bereicherungswille gegenüber dem oder den Gesellschaftern zu verneinen. Diese Vermutung ist erst dann nicht mehr aufrechtzuhalten, wenn Leistender und Gesellschafter in einer persönlichen Beziehung zueinanderstehen, namentlich, wenn es sich um Angehörige handelt. Wenn fremde Dritte beteiligt sind, ist demzufolge weder § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegenüber der Gesellschaft noch § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG gegenüber den Gesellschaftern erfüllt.
X, Y und Z sind Gesellschafter der XYZ-GmbH. Die B-Bank erlässt der GmbH im Zuge einer Umschuldung einen Teil ihrer Forderungen zum Zweck der Sanierung.
Nach der Rspr. des BFH ist bei objektiver Unentgeltlichkeit der subjektive Tatbestand nicht erfüllt, wenn der Zuwendende nachweist, dass die Bereicherung des Empfängers der Förderung des Geschäfts des Zuwendenden diene, also objektiv und nahezu ausschließlich auf die Erzielung geschäftlicher Vorteile gerichtet sei. Für den Nachweis muss es genügen, wenn der Steuerpflichtige in nachvollziehbarer Weise vorträgt, dass seine Bereicherung der Förderung des Geschäfts des Zuwendenden diente, d. h. objektiv und eindeutig der Verfolgung geschäftlicher Interessen des Zuwendenden zugeordnet werden könne. Allgemein kann man sich auf die vom RFH geprägte Formel berufen, dass Kaufleute sich nichts zu schenken pflegen. Ergänzend wird diskutiert, ob für den Fall, dass eine Kapitalgesellschaft Verzichtender ist, nicht vorrangig Satz 2 einschlägig sein könnte. Satz 2 ist ausweislich der Gesetzesbegründung auf Konzernfälle zugeschnitten, sodass die Norm keine Sperrwirkung entfalten könnte. Auf den Vorrang des Satz 2 kommt es nach hier vertretener Ansicht aber gar nicht an, da im Valutaverhältnis ein Bereicherungswille erforderlich ist. Im Übrigen bildet Satz 2 keinen eigenständigen Steuertatbestand.
Rz. 572
Erfolgt der Forderungsverzicht durch einen Angehörigen, ist der Bereicherungswille nur zu verneinen, wenn es ihm vorrangig um "betriebliche" Gründe geht. Letzteres wäre etwa der Fall, wenn sich der Angehörige mit fremden Dritten an einer Sanierungsmaßnahme für die Gesellschaft beteiligt.
Rz. 573
Nach der Gesetzesbegründung zu Satz 1 würden unter fremden Dritten überproportionale Einlagen "allenfalls" mit gesellschaftsvertraglichen Zusatzabreden vorgenommen, die für den einliegenden Gesellschafter gewährleisten, dass eine überproportionale Einlage nicht zu einer endgültigen Vermögensverschiebung zugunsten der Mitgesellschafter führt (z. B. in Sanierungsfällen). Diese Einschränkung beruht auf einer Fehlvorstellung der Sanierungspraxis und ist auch deshalb zu weit, weil es nicht immer gelingt, entsprechende Zusatzabreden durchzusetzen. Immerhin spricht der Hinweis des Gesetzgebers dafür, dass der subjektive Tatbestand des § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG in den genannten Fällen nicht einschlägig sein soll, wenn der zuwendende Gesellschafter – entsprechend der Erwähnung in Satz 2 – betriebliche Gründe für die disquotale Einlage anführen kann. Die Formulierung erinnert an R 18 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 S. 2 ErbStR 2003. Danach konnte der leistende Gesellschafter "Umstände glaubhaft machen, nach denen die Leistung an die Gesellschaft ausschließlich zur Förderung des Gesellschaftszwecks erfolgt und die Werterhöhung der Anteile anderer Gesellschafter nur in Kauf genommen wird, weil eine Gestaltung, die eine Bereicherung der anderen Gesellschafter auf Kosten des Leistenden vermeidet, nicht möglich ist."