Karlheinz Konrad, Dr. Armin Pahlke
Rz. 45
Für die Auslegung des ErbStG gelten zunächst die für Steuergesetze allgemein anzuwendenden Regeln. Jeder gesetzliche Tatbestand des ErbStG ist nach seiner eigenen, spezifischen Teleologie auszulegen. Eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine Wortlautinterpretation schreibt § 20 Abs. 3 GG nicht vor. Zur Feststellung des objektiven Wortlauts dienen die grammatische, systematische, teleologische und historische Auslegung.
Rz. 45a
Spezielle Auslegungsfragen ergeben sich aus den vielfältigen Anknüpfungen des ErbStG an das Zivilrecht. Über unmittelbare Bezugnahmen auf zivilrechtliche Begriffe bzw. Rechtsinstitute hinaus finden sich im ErbStG allerdings auch eigenständige Begriffsbildungen (z. B. die "freigebige Zuwendung", § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Da die Erbschaft- und Schenkungsteuer eine an bürgerlich-rechtliche Vorgänge anknüpfende Verkehrsteuer ist, ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht bzw. nur nach Sachlage des Einzelfalls anwendbar.
Rz. 46
Aus der zivilrechtlichen Vorprägung eines im ErbStG verwendeten Begriffs folgt für die Auslegung der jeweiligen Steuernorm noch kein prinzipieller Vorrang des zivilrechtlichen Begriffsverständnisses; es besteht weder eine Vermutung für ein übereinstimmendes noch für ein abweichendes Verständnis. Deshalb ist für die jeweilige Einzelvorschrift des ErbStG nach den gängigen Auslegungsmethoden zu ermitteln, ob eine Identität des zivilrechtlichen und erbschaftsteuerlichen Begriffsinhalts besteht.
Rz. 47
Soweit das ErbStG unmittelbar auf zivilrechtliche Vorschriften verweist (z. B. in § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ErbStG), ist für die Auslegung der verwendeten Begriffe grundsätzlich das bürgerliche Recht maßgebend. Die Steuerpflicht beim Erwerb von Todes wegen kann sich nur aufgrund rechtlicher Beurteilung ergeben; eine Erbschaft in wirtschaftlichem Sinne gibt es nicht. Deshalb kann § 3 ErbStG nicht nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise über den Wortsinn der steuerbegründenden Tatbestände hinaus ausgedehnt werden. Ein Vorrang des bürgerlichen Rechts besteht auch bei den Steuertatbeständen des § 7 ErbStG soweit sie unmittelbar auf das bürgerliche Recht Bezug nehmen (z. B. § 7 Abs. 1 Nrn. 4–6 ErbStG), es die Bestimmung des Gegenstand des Erwerbs oder die Person des Beteiligten an einer freigebigen Zuwendung betrifft. Die freigebige Zuwendung unter Lebenden i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist hingegen ein spezifisch (schenkung-)steuerlicher Begriff, der primär nach steuerlichen Gesichtspunkten auszulegen ist.
Rz. 48
Die Ausrichtung des ErbStG auf steuerbare Vermögensbewegungen hat auch Auswirkungen auf die Zurechnung von Wirtschaftsgütern. Im Bereich des ErbStG kommt ein wirtschaftliches Eigentum i. S. d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht in Betracht, weil diese Vorschrift Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist und mit den vom ErbStG vorausgesetzten Zurechnungsregelungen des bürgerlichen Rechts kollidiert.
Rz. 49–59
einstweilen frei