Karlheinz Konrad, Dr. Armin Pahlke
Rz. 121
In jüngster Zeit ist auch die Vereinbarkeit des ErbStG mit dem Beihilfenrecht der Art. 107 ff. AEUV in den Blick geraten. Wären die Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG als staatliche Beihilfe einzuordnen, hätte das Erbschaftsteuerreformgesetz gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV erst nach Erteilung der beihilferechtlichen Genehmigung durch die Europäische Kommission in Kraft treten dürfen.
Rz. 122
Art. 107 Abs. 1 AEUV versteht unter staatlichen Beihilfen staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Maßnahmen, die zu einer Wettbewerbsverfälschung und einer Beeinträchtigung des Binnenhandels führen, wenn diese selektiv sind, d. h. der Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige dienen. Entscheidendes Kriterium ist dabei die Selektivität der Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen. Die Selektivität kann dabei nicht allein schon mit der Erwägung verneint werden, dass nicht das Unternehmen, sondern der Erbe bzw. der Beschenkte der Steuerpflicht unterliegt, da sich die Verschonung des Unternehmensvermögens schon aus verfassungsrechtlichen Gründen aus dem Fortbestand des Unternehmens und der damit verbundenen Arbeitsplätze rechtfertigen lässt.
Rz. 123
Die Selektivität setzt jedoch voraus, dass die Regelung nicht unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbar ist, sondern rechtlich oder tatsächlich nur einzelne Unternehmen oder Branchen begünstigt. Entscheidend ist dabei das Referenzsystem. Die vom Gesetzgeber verwendete Regelungstechnik ist dabei nicht maßgeblich, da es auf die Wirkungen, nicht auf die Form der staatlichen Maßnahme ankommt. Vielmehr ist entscheidend, ob 2 Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern – diejenigen, die unter die allgemeine Regelung fallen und diejenigen, für die eine Sonderregelung gilt – voneinander unterschieden werden und a priori unterschiedlich behandelt werden, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Lage befinden. Aber auch eine Maßnahme, die eine Ausnahme vom allgemeinen Steuersystem darstellt und damit selektiv ist, kann durch die Natur oder den Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sein, wenn der Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar aufgrund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht.
Rz. 124
Da die erbschaftsteuerliche Verschonung von Unternehmensvermögen nach §§ 13a, 13b ErbStG grundsätzlich allen Unternehmen offensteht, dürfte schon die Selektivität zu verneinen sein. Zwar unterscheidet das ErbStG in vielfältiger Weise unter anderem nach der Größe von Unternehmen (Lohnsummentest, Verschonungsregime) und deren Rechtsform (Erfordernis einer Mindestbeteiligung), doch sind diese Unterscheidungen nicht Ausdruck der Begünstigung einzelner Unternehmen oder Branchen, zumal die Verschonung auch für Unternehmen aus anderen Staaten der EU und des EWR gewährt wird. Der Vorababschlag für Familienunternehmen ist zudem schon keine Verschonungsregelung, sondern eine Bewertungsregelung, die den Unternehmenswert realitätsgerechter abbilden will. Eine gewisse praktische Evidenz für die Konformität der §§ 13a, 13b ErbStG mit den Art. 107 ff. AEUV lässt sich auch daraus schöpfen, dass auch die Erbschaftsteuergesetze anderer Mitgliedstaaten eine Sonderbehandlung von Unternehmensvermögen kennen, ohne dass die Europäische Kommission bislang – soweit bekannt – Anlass zu einer beihilfenrechtlichen Prüfung gesehen hätte.