Rz. 1
Grenzüberschreitende Nutzungsüberlassung von Rechten. Die Implementierung des § 4j EStG greift den Umstand auf, dass sich Rechte wie Patente, Lizenzen, Konzessionen oder Marken besonders leicht auf andere Rechtsträger bzw. über Staatsgrenzen hinweg übertragen lassen. Dieser Umstand hat angesichts der stark zunehmenden Globalisierung in jüngerer Vergangenheit dazu geführt, dass eine zunehmende Anzahl an Staaten für (grenzüberschreitende) Nutzungsüberlassungen ebendieser Rechte besondere Steuervergünstigungen (IP-Boxen) eingeführt hat.
Rz. 2
Race-to-the-bottom. Diese Formen des Steuerwettbewerbs sind von einer Vielzahl der OECD/G20-Staaten mit der Begründung als schädlich angesehen worden, dass sie die Allokation von Ressourcen verzerren und die Steuerlast von mobilen auf weniger mobile Faktoren wie Arbeit und Verbrauch verlagern würden. Soweit die hiervon benachteiligten Staaten ebenfalls vergleichbare steuerliche Anreize schafften, würde dies zu einem gegenseitigen Unterbietungswettlauf (Race-to-the-bottom) führen.
Rz. 3
Verstärkte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund haben derartige (grenzüberschreitende) Nutzungsüberlassungen als Steuerplanungsinstrument in der internationalen (Fach-)Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erlangt. Seither ist es zu verstärkten medialen Diskussionen betreffend Lizenzstrukturen international agierender Konzerne gekommen. Durch die zeitgleich erfolgte Veröffentlichung der "Paradise-Papers" ist die steuerpolitische Diskussion hinsichtlich – auch auf Basis von IP-Boxen begründeter – grenzüberschreitender Gewinnverlagerungen durch international agierende Konzerne weiter befeuert worden.
Rz. 4
Internationale Maßnahmen. Parallel sind diese steuerpolitischen Überlegungen auf internationaler Ebene aufgegriffen worden. Zunächst hat sich der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister ("ECOFIN") am 1.12.1997 auf einen Verhaltenskodex (Unternehmensbesteuerung) geeinigt und anschließend eine Arbeitsgruppe beauftragt. Beinahe zeitgleich hat die OECD im Jahr 1998 das Forum on Harmful Tax Practices ("FHTP") eingerichtet, um dem Steuerwettbewerb, der in der OECD organisierten Staaten, einen Rahmen zu geben. Das FHTP prägt die Begriffe des "fairen" und "unfairen" Steuerwettbewerbs. Die Erkenntnisse des FHTP haben solcherart Einzug in die Ergebnisse des im Jahr 2013 initiierten BEPS-Projekts der OECD/G20-Staaten gefunden. Im Dezember 2013 hat das Europäische Parlament sodann verpflichtende Vereinbarungen gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung innerhalb der Europäischen Union gefordert. Im Jahr 2015 legten die OECD/G20-Staaten hierzu einen 15 Aktionspunkte umfassenden Abschlussbericht vor. Deren Aktionspunkt 5 fokussiert sich auf die wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken einzelner Staaten im Kontext mit IP-Boxen und ähnlichen Regelungen. Hierin ist festgeschrieben der durch exzessive Verlagerung von Rechten entstehenden Steuerarbitrage entgegenzuwirken und Gewinne in dem Staat zu versteuern, in dem tatsächlich die Wertschöpfung für die IP-Entwicklung erfolgt. Für diese Zwecke soll künftig das Bestehen einer wesentlichen Geschäftstätigkeit Voraussetzung für die Anwendbarkeit steuerlicher Vorzugsregime (IP-Boxen) sein. Was unter einer wesentlichen Geschäftstätigkeit zu verstehen ist, haben die OECD/G20-Staaten mit Blick auf die im Fokus von Aktionspunkt 5 stehenden IP-Box-Regime näher konkretisiert. Maßgeblich ist insoweit der "Nexus-Ansatz". Hiernach darf nur der Teil der Einkünfte aus Rechten einem reduzierten Steuersatz unterworfen werden, der dem Verhältnis der qualifizierten, dem Steuerpflichtigen selbst entstandenen Betriebsausgaben zu den gesamten Betriebsausgaben für die Entwicklung von Rechten entspricht. So soll sichergestellt werden, dass der Lizenzgeber die Steuerbegünstigungen nur in Anspruch nehmen kann, wenn dieser Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten selbst durchgeführt und für diese Tätigkeiten tatsächlich Ausgaben getätigt hat. Andernfalls handelt es sich um eine nicht nexus-konforme IP-Box.
Rz. 5
Kapitel 4 des Abschlussberichts 2015 zu Aktionspunkt 5. Vor diesem Hintergrund müssen gemäß Kapitel 4 des Abschlussberichts 2015 zu Aktionspunkt 5 "Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz" alle nicht nexus-konformen IP-Box-Regime spätestens bis zum 31.12.2021 (spätester Abschaffungstermin) abgeschafft bzw. angepasst werden und dürfen nach dem 30.6.2016 nur noch für Altfälle unter Vertrauensschutzaspekten bis zum spätesten Abschaffungstermin angewandt werden. Darüber hinaus sind seit dem 30.6.2016 keine Neuregelungen für IP-Boxen zulässig, die nicht nexus-konform sind. Mithin dürfen nur noch nexus-konforme IP-Box-Regime angewandt werden. Sofern die Staaten ihre nicht nexus-konformen IP-Box-Regime anpassen, hat § 4j EStG daher zukünftig keine Bedeutung mehr.