Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld, Gary Rüsch
a) Allgemeines
Rz. 21
Allgemeine Kritik. § 50d Abs. 9 EStG ist erheblicher Kritik ausgesetzt. Neben verfassungsrechtlicher (s. Rz. 38), abkommensrechtlicher (s. Rz. 40) und steuerpolitischer Kritik wird auf die Komplexität der Vorschrift hingewiesen und sie als "unklar", "misslungen" oder "‚mystisch‘ verklausuliert" bezeichnet. Dem ist weitestgehend zuzustimmen, was vor allem der Gesetzgebungstechnik in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 (s. Rz. 63) und Nr. 2 EStG (s. Rz. 77) geschuldet ist. So gibt es sicherlich bessere Beispiele für eine "einfachere" Steuergesetzgebung, auch wenn die Komplexität hier teilweise der zugrunde liegenden Regelungsmaterie geschuldet ist.
Rz. 22
Systematisches. Die Positionierung innerhalb von § 50d EStG ist vom Grunde her fehlplatziert, weil es bei der Vorschrift um ausländische Einkünfte geht (s. Rz. 2), die das Einkommensteuergesetz in seinem Abschnitt V.1. (§§ 34c, 34d EStG) behandelt. Mittlerweile ist die Einfügung in § 50d EStG aber fast schon konsequent, weil die Vorschrift über die Zeit zu einer Sammlung von Treaty Overrides umgestaltet wurde. Daneben lässt sich darauf hinweisen, dass sich der Tatbestand von § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG in Ermangelung eines Semikolons nicht in Halbsätze unterteilt. Wenn im Schrifttum von § 50d Abs. 9 Satz 1 "Halbs. 1" EStG gesprochen wird (inkonsequenterweise aber nicht von "Halbs. 2"), dann deswegen, um auf die zu Beginn von Satz 1 stehenden Tatbestandsvoraussetzungen verweisen zu können (was aber auch mit der schlichten Satzangabe möglich ist).
Rz. 23
Kategoriale Einordnung. § 50d Abs. 9 EStG wird im Schrifttum – auch innerhalb derselben Autoren – völlig uneinheitlich eingeordnet. So wird in Gänze von einer Switch-Over-, Umschalt-, Subject-to-Tax- oder Rückfallklausel gesprochen, die Vorschrift als Switch-Over- und Rückfallklausel eingeordnet (obwohl beide Begriffe für gewöhnlich unterschiedlich interpretiert werden) oder § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG getrennt von alldem als Subject-to-Tax-Klausel eingeordnet. Die Uneinheitlichkeit dürfte teilweise darin begründet sein, dass für diese Begriffe keine einheitlichen Definitionen und deshalb auch keine einheitlichen Bezeichnungen zu finden sind.
Rz. 24
Ziel der Regelung. Neben der kategorialen Einordnung (s. Rz. 23) wird auch das Ziel der Vorschrift unterschiedlich beschrieben. So wird z.B. die "Bekämpfung" von Qualifikationskonflikten genannt, obwohl diese (i.S. ihrer Ursachen) nicht bekämpft werden, sondern das aus ihnen resultierende (und aus Sicht des Gesetzgebers unerwünschte) Besteuerungsergebnis. Dieses wird streng genommen auch nicht "verhindert", sondern (einseitig) korrigiert. Für das unerwünschte Besteuerungsergebnis selbst spricht der Gesetzgeber ausschließlich von einer „ Nichtbesteuerung ”, im Schrifttum wird vor allem von einer "Nicht- oder Minderbesteuerung" gesprochen, aber auch nur von einer "Minderbesteuerung", "Nichtbesteuerung und niedrigen Besteuerung", "Nichtversteuerung", "Keinmalbesteuerung" oder von "weißen oder grauen Einkünften". Dabei erscheint insbesondere die Ergänzung um das Wort "doppelte" missverständlich, denn damit ist die fehlende Besteuerung in zwei Staaten gemeint, was den Eindruck einer noch "weniger" vorzugswürdigen Situation erweckt, obwohl eine der "Nichtbesteuerungen" gesetzgeberisch gewollt gewesen ist. Allgemein verständlich wäre daher, wenn lediglich von der Korrektur einer Nicht- und Niedrigbesteuerung oder Sicherstellung einer "Einmalbesteuerung" gesprochen wird. Im Kontext von § 50d Abs. 9 EStG geht es aufgrund der gesetzgeberisch gewählten Tatbestandsmerkmale zudem nur um eine "abstrakte" Nicht- und Niedrigbesteuerung (s. Rz. 68, 70, 74), womit die korrespondierende Besteuerung – das liegt auf der Hand – weniger effektiv verwirklicht wird. Für den Steuerpflichtigen kann das zumindest mit Erleichterungen in der Nachweispflicht verbunden sein (s. Rz. 132 f.). Unabhängig davon zeigt sich hier auch, was an derartigen Vorschriften (s. Rz. 23) steuerpolitisch und -systematisch zu kritisieren ist, nämlich ihr einseitiger Anwendungsbereich in der Korrektur ausschließlich einer Nicht- oder Niedrigbesteuerung, nicht aber einer Doppelbesteuerung ("rein fiskalpolitisch motiviert"), obwohl sich auch dieser Anwendungsbereich problemlos in ihre Regelungssystematik der Vorschriften einfügen lässt.