Rz. 160
Kein Verstoß der Antragsfrist gegen Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Antragsfrist gem. § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG verletzt weder die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EGV) noch die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56 EGV).
Rz. 161
Keine Diskriminierung ausländischer Muttergesellschaften aufgrund unterschiedlicher Behandlung wegen Fristenregelung. Die unterschiedliche Behandlung von ausländischen und inländischen Muttergesellschaften ist dem Umstand geschuldet, dass inländische Muttergesellschaften im Inland veranlagt werden, während für ausländische Muttergesellschaften das Erstattungs- und Freistellungsverfahren (§ 50d Abs. 1 und 2) vorgesehen sind. Entsprechendes gilt für die Kapitalertragsteuer bei natürlichen Personen. Insoweit gelangt beim Steuerinländer das Verfahren der Anrechnung der Kapitalertragsteuer zur Anwendung. Ein solches Anrechnungsverfahren ist für den im Ausland ansässigen Vergütungsgläubiger nicht vorgesehen, da er im Inland nicht veranlagt wird. Dies ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die unterschiedliche Regelung der Antragsfrist führt – je nach Sachverhaltskonstellation – zu unterschiedlichen Ergebnissen. Keinesfalls ist die ausländische Muttergesellschaft aufgrund der Anknüpfung an die Entrichtung der Steuer gegenüber der inländischen Muttergesellschaft systematisch benachteiligt.
Rz. 162
Unterschiedliche Fristenregelung aufgrund unterschiedlicher Verfahrensausgestaltung. Die unterschiedliche Fristenregelung ist durch die unterschiedliche Verfahrensausgestaltung bedingt. Diese unterschiedliche Verfahrensausgestaltung, insbesondere auch das Steuerabzugsverfahren, steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Gemäß dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Scorpio sind Art. 59 und 60 EGV (jetzt: Art. 56, 57 AEUV) dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt, und nach denen der Dienstleistungsempfänger sogar in Haftung genommen wird, wenn er den Steuerabzug, zu dem er verpflichtet war, unterlassen hat. Darüber hinaus sind Art. 59 und 60 EGV (jetzt: Art. 56, 57 AEUV) dahin auszulegen, dass sie nicht verbieten, dass die Steuerbefreiung, die einem gebietsfremden Dienstleister, der in Deutschland tätig geworden ist, nach dem einschlägigen DBA zusteht, entweder vom Vergütungsschuldner im Rahmen des Steuerabzugsverfahrens oder in einem späteren Freistellungs- oder Erstattungsverfahren oder aber in einem gegen den Vergütungsschuldner eingeleiteten Haftungsverfahren nur dann berücksichtigt werden kann, wenn von der zuständigen Steuerbehörde eine Freistellungsbescheinigung erteilt worden ist, derzufolge die Voraussetzungen hierfür nach dem Abkommen erfüllt sind.
Rz. 163
Rechtfertigung des für den ausländischen Vergütungsgläubiger nachteiligen Steuerabzugsverfahrens zwecks Sicherung des Steueraufkommens. Der EuGH hat damit das Steuerabzugsverfahren zum Nachteil des Dienstleistungsempfängers als legitimes und geeignetes Mittel angesehen, um die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen und um zu verhindern, dass die betreffenden Einkünfte sowohl im Wohnsitzstaat als auch im Staat der Leistungserbringung unversteuert bleiben.
Rz. 164
Geltung der Grundsätze des EuGH zum Steuerabzugsverfahren auch für das Kapitalertragsteuerverfahren. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für das Kapitalertragsteuerverfahren als Steuerabzugsverfahren und die hiermit einhergehende Steuerfreistellung auf der Grundlage der MTR.