Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
„ 2 § 20 Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes bleibt unberührt; ...”
Rz. 361
Verhältnis zu anderen Einkunftsarten. Leistungen der Familienstiftung an den Berechtigten gehören bei diesem nur nach Maßgabe des sog. Subsidiaritätsgrundsatzes (§ 20 Abs. 8 EStG) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Vorrangig zählen sie zu den Gewinneinkünften bzw. den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wenn und soweit sie die charakteristischen Merkmale in Handlungs- und Erfolgstatbestand der betreffenden anderen Einkunftsart verwirklichen. Abs. 8 Satz 2 Halbs. 1 soll eine entsprechende Zuordnung der zugerechneten Einkünfte beim Zurechnungsadressaten ermöglichen: Nach Satz 1 gehören die Einkünfte zu denen aus Kapitalvermögen, vorbehaltlich jedoch ihrer vorrangigen Zurechnung zu betrieblichen Einkünften oder zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Zum Verhältnis zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit vgl. Rz. 367.
Rz. 362
Praktische Bedeutung. Die praktische Bedeutung der Anwendung des § 20 Abs. 8 EStG darf nicht überschätzt werden. Der Bezug von Leistungen einer Stiftung in einer Einkunftsart außerhalb des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG dürfte selten sein; entsprechend ist der Anwendungsbereich des Abs. 8 Satz 2 Halbs. 1 gering. Ausnahmen kommen bei Stiftungen nach Abs. 3 in Betracht. Das Gesetz scheint in diesen Fällen ganz selbstverständlich von Einkünften aus Gewerbebetrieb auszugehen. Dennoch sollte man die Vorfrage nicht überspringen, ob nämlich die Bezugsberechtigung bei einem als Unternehmer oder Mitunternehmer handelnden Stifter (vgl. zu dieser Voraussetzung des Abs. 3 näher Rz. 172, 174) als (notwendiges) Privatvermögen zu qualifizieren ist. Speziell die Pflicht, sich über die tatsächlichen Bezüge hinaus alle Einkünfte der Stiftung als eigene zurechnen zu lassen und somit Steuern auf Einkommensbestandteile zu entrichten, die tatsächlich nicht zugeflossen sind, rückt eine solche Bezugsberechtigung zumindest in die Nähe von verlustgeneigten Wirtschaftsgütern.
Rz. 363
Vorbehalt für § 20 Abs. 8 EStG – Zweifelhafte Regelungstechnik. Die Umsetzung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels (vgl. Rz. 361) ist misslungen. Dass § 20 Abs. 8 EStG "unberührt" bleibt, bedeutet wörtlich, dass der dort geregelte Subsidiaritätsgrundsatz von der expliziten Einkünftezuordnung in Satz 1 nicht verdrängt wird. Dies irritiert jedenfalls dann, wenn man mit der hier unter Rz. 351 vertretenen Ansicht die Anordnung in Satz 1 als eine Zurechnung von Einnahmen beim Zurechnungsadressaten ablehnt. Denn eine Subsidiaritätsregel nach Art des § 20 Abs. 8 EStG ist bereits vom Grundsatz her auf einen Einkünfteerhöhungsbetrag, wie ihn die Zurechnungsanordnung des Abs. 1 anordnet, nicht anwendbar. § 20 Abs. 8 EStG setzt nämlich voraus, dass bestimmte Einnahmen und Ausgaben des Steuerpflichtigen den Tatbestand von mindestens zwei Einkunftsarten erfüllen. Seine Anwendung geht der Ermittlung der Einkünfte systematisch vor; nicht ohne Grund geht die allgemeine Zurechnungsbestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG der Vorschrift zur Einkünfteermittlung (§ 2 Abs. 2 EStG) voraus. Ein Einkünfteerhöhungsbetrag nach Art des § 15 Abs. 1 erfüllt demgegenüber die Merkmale keiner einzigen Einkunftsart des Zurechnungsadressaten, da er, von den konkreten Umständen der Einnahmenerzielung abstrahiert, allein auf gesetzlicher Fiktion beruht. Er wirkt erst auf Ebene der Einkünfteermittlung, wo er den separat ermittelten originär-eigenen Einkünften des Zurechnungsadressaten hinzuaddiert wird.
Rz. 364
Vorbehalt für § 20 Abs. 8 EStG – Kein abweichendes Verständnis von der Einkünftezurechnung. Vor dem Hintergrund der in vorstehender Rz. dargestellten systematischen Zusammenhänge stellt sich die Frage, ob der Gesetzesbefehl in Abs. 8 Satz 2 Halbs. 1 nicht geeignet ist, das hier vertretene Verständnis von der Zurechnung von Einkünften (vgl. Rz. 111 f., 346 f., 351) zugunsten einer Zurechnung von Einnahmen und Ausgaben der Stiftung infrage zu stellen. Diese Frage ist keinesfalls nur akademischer Natur.
Beispiel 1
Stifter S hat vor Jahren die ausländische Familienstiftung F errichtet; ihre Leistungen gehören bei ihm zu seinen Einnahmen aus Gewerbebetrieb. Die Einkünfte der F stammen aus der Vermietung und Verpachtung von Immobilien an Personen, die dem Stifter S nahestehen. Die Immobilien sind steuerliches Privatvermögen der Stiftung. Die Bruttoeinnahmen belaufen sich auf 1.400, was 70 % der ortsüblichen Miete für diese Immobilien entspricht. Aus der Vermietung entstehen der Stiftung Aufwendungen i.H.v. 1.000.
Da F ihre Einkünfte nach § 21 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG ermittelt, gilt die Vermietung als voll entgeltlich (§ 21 Abs. 2 Satz 2 EStG), sodass sich nach hier vertretener Ansicht Einkünfte von 400 ergeben (vgl. Abs. 7). Bei einer Zurechnung von Einnahmen und Ausgaben ("transparente Betrachtungsweise") wären dem Gewerbebetrieb des S Einnahmen der Stiftung v. 1.400 und Ausgaben von 1.000 zuzurechnen. Im Rahmen der ...