Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld, Gary Rüsch
I. Entstehungsgeschichte
1. Überblick zur strukturellen Entwicklung der Vorschrift
Rz. 1
Überblick zur strukturellen Entwicklung. § 50d Abs. 9 EStG wurde durch das JStG 2007 v. 13.12.2006 (s. Rz. 2 ff.) eingefügt. Die damaligen Bestandteile (Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2, Satz 2 und Satz 3) enthält die Vorschrift nach wie vor. Satz 4 ist durch das "BEPSUmsG" v. 20.12.2016 hinzugekommen.
2. Einfügung von § 50d Abs. 9 EStG durch das JStG 2007 v. 13.12.2006
Rz. 2
§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG. Mit dem seit der Einfügung durch das das JStG 2007 v. 13.12.2006 unverändert bestehenden § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG soll ausweislich der Gesetzesbegründung "zur Verhinderung von Steuerausfällen" eine abkommensrechtliche Steuerfreistellung von Einkünften eingeschränkt werden, wenn es aufgrund von „ Qualifikationskonflikten ” zu einer „ Nichtbesteuerung ” kommt, weil sie dem "Sinn und Zweck" der Freistellungsmethode widersprechen würde. Mit der Vorschrift wird allerdings keine tatsächliche, sondern "nur" eine abstrakte Nicht-, dafür aber auch eine Niedrigbesteuerung (s. Rz. 69 ff.) korrigiert. Unabhängig davon ist der Hintergrund von § 50d Abs. 9 EStG zunächst darin zu sehen, dass durch DBA das Besteuerungsrecht an Einkünften zwischen dem Ansässigkeits- und Quellenstaat "verteilt" wird. Dabei erlauben die Verteilungsnormen (Art. 6–22 OECD-MA) eine Besteuerung entweder ausschließlich durch den Ansässigkeits- oder Quellenstaat (Verteilungsartikel mit "abschließender" Rechtsfolge) oder durch beide Staaten (Verteilungsartikel mit "offener" Rechtsfolge). In den letztgenannten Fällen stellt sich die Frage, wie der Ansässigkeitsstaat die durch die Besteuerung im Quellenstaat entstehende Doppelbesteuerung vermeiden will. In Deutschland geschieht das bekanntermaßen und traditionell durch Anwendung der Freistellungsmethode (Art. 23A OECD-MA). Nach deren Wortlaut ist bereits ausreichend, dass die zugrunde liegenden Einkünfte im anderen Vertragsstaat besteuert werden "können" (Art. 23A Abs. 1 OECD-MA). Die Freistellungsverpflichtung ergibt sich also unabhängig davon, ob der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht tatsächlich ausübt. Grund dafür ist, dass sie konzeptionell auf die Verhinderung bereits einer "virtuellen"Doppelbesteuerung gerichtet ist, womit auch eine Nicht- oder Niedrigbesteuerung der Einkünfte in Kauf genommen wird ("abstraktes" Doppelbesteuerungsverbot). Dadurch soll verhindert werden, dass die Vertragsstaaten einer Freistellungsverpflichtung nur deswegen nicht nachkommen, weil sie den Sachverhalt aus Gründen ihres innerstaatlichen Rechts für nicht besteuerungswürdig halten. Anders gewendet ist grundsätzlich "nur" eine abkommensrechtliche Nicht- oder Niedrigbesteuerung nicht mit der Freistellungsmethode vereinbar. Das wird im Schrifttum teilweise anders dargestellt, wenn pauschal auf die Nichtvereinbarkeit einer Nicht- oder Niedrigbesteuerung mit der Freistellungsmethode verwiesen wird. Unabhängig davon lässt sich ein solches Besteuerungsergebnis steuerplanerisch gezielt insbesondere durch Qualifikationskonflikte realisieren, weshalb für diese Fälle im Jahr 2000 auf Abkommensebene eine Einschränkung der Freistellungsmethode vorgesehen wurde (Art. 23A Abs. 4 OECD-MA), die aber noch nicht in allen von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten war bzw. ist. Vor diesem Hintergrund wurde die abkommensrechtliche Regelung im Jahr 2006 in innerstaatliches Recht (§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG) übernommen (zu Unterschieden in beiden Regelungen s. Rz. 64).
Rz. 3
§ 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG. Mit § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG – der ebenfalls seit der Einfügung durch das JStG 2007 v. 13.12.2006 in unveränderter Form besteht – wird ein ganz anderes Ziel verfolgt, denn nach Auffassung des Gesetzgebers würde es auch dann zu einer "dem Sinn und Zweck der Freistellungsmethode widersprechenden Nichtbesteuerung" kommen, wenn der andere Staat die Einkünfte nicht besteuern "kann", weil sein innerstaatliches Recht diese Einkünfte "im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst". Wie bereits genannt (s. Rz. 2), ist eine innerstaatlich bedingte Nicht- oder Niedrigbesteuerung grundsätzlich aber sehr wohl mit der Freistellungsmethode vereinbar. Es geht dem Gesetzgeber richtigerweise "schlichtweg" darum, Unterschiede in der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht zu korrigieren. Dabei kann eine fehlende beschränkte Steuerpflicht im anderen Staat aus einer inkonsequenten Definition inländischer Anknüpfungsmerkmale resultieren, aber auch bewusst in Kauf genommen werden. Die Begründung, dass der andere Staat die Einkünfte nicht besteuern "kann" (und der deutsche dem ausländischen Gesetzgeber förmlich zur Seite springt), trägt also nicht, weil dieser die Einkünfte womöglich nicht besteuern will, was auch im Schrifttum teilweise missverstanden wird. Hinzukommt, dass derartige Unterschiede auch im innerstaatlichen Recht bei § 49 EStG festzustellen sind. Was der Gesetzgeber hier also für unbeachtlich häl...