Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
I. Grundtatbestand und Rechtsfolge (Abs. 1)
1. Zurechnungsgegenstand: Vermögen und Einkünfte (Satz 1)
a) Vermögen
„(1) [1] Vermögen ...”
Rz. 101
Zweck und Reichweite der Vermögenszurechnung. § 15 liegt das systematische Verständnis zugrunde, Vermögen zwecks Erhebung von VSt und die Einkünfte zwecks Erhebung von Ertragsteuern zuzurechnen. Die Zurechnungen nach § 15 wirken sich in diesem Sinne beim Stifter bzw. bei den Bezugs- oder Anfallsberechtigten auf die Besteuerung des Vermögens und der Einkünfte getrennt aus. Da jedoch in Deutschland für die Zeit ab dem 1.1.1997 keine VSt mehr erhoben wird, geht die Vermögenszurechnung gem. § 15 Abs. 1 seit dem 1.1.1997 insoweit ins Leere. Seither steht die Frage im Raum, welcher Sinn einer solchen Zurechnung noch zukommt. Man könnte daran denken, die Vermögenszurechnung nach § 15 auf die ESt durchschlagen zu lassen. Vermögensgegenstände bilden in vielfacher Hinsicht die Grundlage für die Erzielung von Einkünften. Deutlich wird dies bei einer Regelung wie in § 20 Abs. 5 EStG. Danach erzielt der Anteilseigner die Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG. Nach § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG ist jedoch Anteilseigner derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind. Dies ist die Familienstiftung. § 15 wird in § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht erwähnt, weshalb nicht von einer abweichenden Anteilseignerregelung auszugehen ist. Die Vermögenszurechnung nach § 15 ist etwas anderes als die Zurechnung von Vermögen nach § 39 AO ist (zum Verhältnis zu § 39 AO vgl. Rz. 78). Ein Durchschlagen der Vermögenszurechnung auf die Einkommensbesteuerung wäre daher auch in gewisser Weise widersprüchlich. Würde § 15 die Zurechnung des gesamten Vermögens gegenüber dem Stifter bzw. den Bezugs- oder Anfallsberechtigten auch für ertragsteuerliche Zwecke gebieten, so würden die aus dem Vermögen erzielten Einkünfte unmittelbar solche des Stifters bzw. der Bezugs- oder Anfallsberechtigten sein. Die ausländische Familienstiftung könnte dann selbst keine zurechenbaren Einkünfte mehr erzielen. Nur bei einer Begrenzung der Vermögenszurechnung auf die Zwecke der Erhebung einer VSt macht die Zurechnung von Einkünften und Vermögen nebeneinander Sinn. Daher ist die Vermögenszurechnung nach § 15 ohne Relevanz auch für andere Normbereiche der Einkommensbesteuerung, in denen die Vermögenszuordnung eine Rolle spielt, etwa § 17 EStG oder die Betriebsaufspaltung. Abzulehnen ist daher auch die in Tz. 15.5.3 AEAStG vertretene Auffassung, § 15 erlaube die Zurechnung von Beteiligungen, die die ausländische Familienstiftung an Zwischengesellschaften i.S.d. §§ 7 ff. halte. Dadurch sollten die §§ 7, 8 und 14 auf die Beteiligung an der Zwischengesellschaft so anzuwenden sein, als hielte jeder der Zurechnungsadressaten i.S.d. § 15 den auf ihn entfallenden Anteil unmittelbar. Diese Streitfrage hat sich ab dem VZ 2013 durch die gesetzliche Regelung in § 15 Abs. 9 erledigt (vgl. Rz. 401, 403; zum Verhältnis von § 15 zu §§ 7 ff. AStG vgl. Rz. 83). Vorstehende Überlegungen zum Verhältnis von Vermögenszurechnung zur ESt gelten auch im Verhältnis zu anderen Steuerarten, z.B. GrESt und GrSt. Eine Auswirkung auf die ErbSt nimmt § 15 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich aus; entsprechendes gilt für die Schenkungsteuer. Für die Zwangsvollstreckung nach AO gilt § 15 ebenfalls nicht, d.h. der Steuergläubiger kann wegen Steuerschulden des Stifters, Bezugs- oder Anfallsberechtigten nicht in das Vermögen der ausländischen Stiftung vollstreckt werden. Sollten dennoch Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden, so steht der ausländischen Familienstiftung die Drittwiderspruchsklage gem. § 262 AO, § 771 ZPO zu.
Rz. 102
Vermögensbegriff des § 15. Soweit die Zurechnung des Vermögens für die Zeit bis zum 31.12.1996 in Betracht kam, wurde das Vermögen schlechthin, nicht aber bestimmte Vermögensarten zugerechnet. Dies ist nach der Systematik des BewG das sog. Gesamtvermögen i.S.d. § 114 BewG a.F. Die Zurechnung berührte deshalb das Vermögen i.S.v. § 18 BewG, nicht aber einzelne Wirtschaftsgüter bzw. wirtschaftliche Einheiten oder gar das Grund- bzw. Betriebsvermögen. Die Anwendung des § 18 BewG ergibt sich daraus, dass der Vermögensbegriff i.S.d. deutschen Steuerrechts verwendet wird. Deshalb muss der Begriff i.S. des deutschen Steuerrechts ausgelegt werden. Es fehlt an einer Sondervorschrift nach der Art des § 15 Abs. 7, die regelt, dass das Vermögen nach besonderen Vorschriften zu ermitteln ist. Deshalb finden die allgemeinen Vorschriften des BewG Anwendung. Danach ist das Vermögen so zu ermitteln, als ob die ausländische Familienstiftung mit dem gesamten Vermögen im Inland steuerpflichtig wäre. Die nach §§ 110 und 111 BewG a.F. geltenden Freibeträge, Freigrenzen und Steuerbefreiungen sind so zu beachten, wie sie die ausländische Familienstiftung hätte geltend machen können, wenn sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland gehabt hätte. Wirtschaftsgüter, die nach dem VStG oder nach anderen Gesetzen steuerfre...