Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
I. Vorrangklausel (Absatz 1)
Rz. 81
Vorrang innerstaatlichen DBA-Rechts gem. § 2 AO behält für Teile des AStG Gültigkeit. § 20 Abs. 1 Halbs. 1 erwähnt nur die §§ 7–18; § 20 Abs. 1 Halbs. 2 betrifft dagegen die Anwendung des § 20 Abs. 2. Wichtig ist die Feststellung, dass § 20 Abs. 1 nicht auf alle Vorschriften des AStG Anwendung findet. Nicht erwähnt sind § 1, §§ 2–5 und § 6. Aus der Erwähnung nur der §§ 7–18 und des § 20 Abs. 2 muss der Rückschluss gezogen werden, dass bezogen auf die §§ 1–6 der allgemeine Grundsatz des § 2 AO gilt, wonach die gem. Art. 59 GG in nationales Recht übergeleiteten DBA den Vorschriften des allgemeinen Steuerrechts vorgehen. §§ 1–6 zählen insoweit zu den Vorschriften des allgemeinen Steuerrechts.
Rz. 82
§ 2 AO gilt nicht im Regelungsbereich der §§ 7–18. Umgekehrt bringt die Erwähnung der §§ 7–18 zum Ausdruck, dass im Regelungsbereich dieser Vorschriften § 2 AO nicht gilt. § 2 AO setzt nach zutreffender Ansicht die allgemeinen Kollisionsregeln "lex posterior derogat legi priori" und "lex specialis derogat legi generali" nicht außer Kraft. Als einfaches Gesetz verfügt die AO nicht über die Fähigkeit, einen allgemeinen Vorrang von DBA-Recht zu postulieren. Vielmehr unterliegt § 2 AO als einfaches Recht der grds. Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers. Grenzen dieser Befugnis können sich allenfalls aus Rechtssätzen ergeben, die – wie das GG – selbst Höherrangigkeit für sich beanspruchen (vgl. Anm. 23). § 2 AO kann deshalb vom Gesetzgeber grds. durchbrochen werden. Dabei muss die vom FG Köln aufgeworfene Frage nicht vertieft werden, inwieweit § 2 AO nur von solchen einfachgesetzlichen Vorschriften verdrängt wird, die ausdrücklich ein DBA einschränken. Denn § 20 Abs. 1 Halbs. 1 will ausdrücklich das Konkurrenzverhältnis zwischen den §§ 7–18 und den DBA regeln. Interessant kann diese Frage allenfalls werden, soweit die Anwendung der §§ 7–18 vor Erlass des § 20 Abs. 1 durch das StÄndG 1992 in Frage steht.
Rz. 83
frei
Rz. 84
Regelungsgehalt von § 20 Abs. 1 Halbs. 1. Unter der Geltung des § 10 Abs. 6 a.F. wurde mitunter die Auffassung vertreten, die für die §§ 7–18 eingefügte Vorbehaltsklausel sei vor dem Hintergrund der gleichzeitig eingeführten Sonderregelungen für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu verstehen und habe praktisch nur für sie Bedeutung. Diese Rechtsaussage wurde allerdings nicht näher begründet. Sie war auch für sich genommen nicht überzeugend, weil nach allen in Betracht kommenden Lösungswegen stets die Verträglichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit den DBA insgesamt zur Diskussion stand. Zwar lief die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung wegen des Abkommensvorbehalts in § 10 Abs. 5 a.F. weitgehend leer. Auch hatte § 10 Abs. 5 a.F. zur Folge, dass das von § 20 Abs. 1 Halbs. 1 bewirkte "Treaty Override" im Ergebnis lediglich im Bereich der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu konstatieren war. Dies änderte jedoch nichts daran, dass die Frage nach einer Kollision der §§ 7–14 mit DBA im Grundsatz auch für diejenigen Zwischeneinkünfte zu beantworten war, die unbeschränkt Stpfl. deshalb zugerechnet wurden, weil sie nicht in den Genuss eines – den Schutz von § 10 Abs. 5 a.F. genießenden – DBA-Schachtelprivilegs kamen. Deshalb sprach bereits vor der Aufhebung von § 10 Abs. 6 der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Halbs. 1 dafür, dass der Gesetzgeber ein Regelungsbedürfnis für den gesamten Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung angenommen hat. Spätestens seit der Aufhebung von § 10 Abs. 6 unter Beibehaltung von § 20 Abs. 1 Halbs. 1 dürfte daran aber kein Zweifel mehr bestehen. Die Vorschrift hat daher für die §§ 7–14 insgesamt und vor allem auch für § 15 Bedeutung. Daran ändert die Tatsache nichts, dass das eigentliche Ziel durch die Verwendung der Worte "nicht berührt" eher schamhaft verdeckt wird.
Rz. 85
Problematik des Wortlautes der Anwendungsvorschrift. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut des § 21 Abs. 7 i.d.F. des StÄndG 1992/StandOG 1993/StMBG 1993 eher gegen die hier vertretene Auffassung spricht. Danach ist der gesamte § 20 erstmals für Veranlagungs- und Erhebungszeiträume anzuwenden, für die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 10 Abs. 6 Satz 2 a.F. hinzuzurechnen sind, die in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem 31.12.1991 beginnt. Erzielt eine Zwischengesellschaft keine Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 10 Abs. 6 Satz 2 a.F., so kann § 20 Abs. 1 auf die von ihr hinzuzurechnenden Zwischeneinkünfte praktisch nie Anwendung finden. Erzielt sie allerdings irgendwann einmal Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter und lösen diese einen anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag aus, so findet § 20 Abs. 1 Halbs. 1 ab diesem Zeitpunkt auch auf solche Hinzurechnungsbeträge Anwendung, die keine Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter enthalten. Dies ist für sich genommen sicherlich keine einsichtige Regelung. Es mus...